„A thing is never seen as it really is“ – Über die Farbexperimente von Josef Albers

Josef Albers' drawing class ca. 1939-40. Left to right: Lisa Jalowetz, Bela Martin, Fred Stone, Betty Brett, Albers (kneeling), Robert de Niro, Martha McMillan, Eunice Shifris. Courtesy of Western Regional Archives.

Josef Albers’ drawing class ca. 1939-40. Left to right: Lisa Jalowetz, Bela Martin, Fred Stone, Betty Brett, Albers (kneeling), Robert de Niro, Martha McMillan, Eunice Shifris. Courtesy of Western Regional Archives.

Josef Albers war von 1933 bis 1949 am Black Mountain College tätig. Bekannt geworden ist er insbesondere durch seine neuen Ansätze im Umgang mit Farben. Für ihn stand nicht länger der Zweischritt von „theory and practice“ im Mittelpunkt der kunstwissenschaftlichen Arbeit, sondern viel eher der umgedrehte Ansatz im Sinne von „development of observation and articulation“.

Konkret bedeutete dies, dass er die Relativität von Farbtönen hervorhob, da beispielsweise ein und dieselbe Farbe in verschiedenen Umgebungen, Konstellationen und Medien völlig verschiedene Ausprägungen in der Wahrnehmung des Betrachters auslösen kann. Albers selbst sagt dazu: „A color has many faces, and one can be made to appear as two different colors.”

Somit gilt es, sich durch schrittweise Erprobung und experimentelles Ausprobieren der Farblehre zu nähern, um lange Zeit bestehende didaktische und theoretische Dogmen zu überwinden. Ziel seiner Herangehensweise ist eine unbefangene Neuentdeckung von Farbwirkungen, abseits der ausgetretenen Pfade der klassischen Harmonielehre. Es geht Albers also bei seiner Herangehensweise besonders um den praktischen Moment, den Prozess aus Versuch und Irrtum, wenn er sagt:

Practical exercises demonstrate through color deception (illusion) the relativity and instability of color. And experience teaches that in visual perception there is a discrepancy between physical fact and psychic effect. What counts here – first and last – is not so-called knowledge of so-called facts, but vision – seeing. Seeing here implies Schauen (as in Weltanschauung) and is coupled with fantasy, with imagination.

Diese Überzeugung beeinflusste selbstverständlich auch seine Lehrtätigkeit, welche das freie Experimentieren mit Farbe, aber auch Materialien in den Vordergrund rücken ließ. Die Kunst des Lehrens läge seiner Meinung nach darin, seine Schüler bei ihren Entdeckungen und ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen – ein ungewöhnlich fortschrittlicher Ansatz für die 30er und 40er Jahre in der pädagogischen Arbeit. Es ginge ihm darum die Augen seiner Schüler zu öffnen, wie Albers es einmal formulierte. Einer seiner Kursteilnehmer äußerte sich über den Unterricht des Künstlers folgendermaßen: “Albers was not interested in creating a treatise on color. He was not giving you rules about colors – he was giving you tools to unlock what he considered the magic of color.”

Besonders interessierte Albers die Interaktion zwischen Farben, die auch in seiner bekanntesten Bildserie „Homage to the Square“ eine zentrale Rolle einnimmt. In ihr untersuchte er, wie sich Farben gegenseitig beeinflussen und verändern können, durch Aspekte wie Größe, Farbträger, Textur, Platzierung, Lichtverhältnisse oder Grenzverlauf. So verschiebt sich die Farbwahrnehmung beispielsweise im Falle von weicheren und härteren Übergängen, bei einer Positionierung einer Farbe über, unter, rechts oder links einer anderen Farbfläche, oder beim Einsatz verschiedener Schattierungen. In seinen Studien näherte er sich durch seine experimentelle Herangehensweise neuen Erkenntnissen an, die sogar konträr zu tradierten Regeln der Farbenlehre und Optik lagen. Mit seinen Farbexperimenten leistete Josef Albers somit einen wichtigen Beitrag für die praktische und theoretische Auseinandersetzung mit der Malerei und Kunst im Allgemeinen.

Ein Artikel von Lukas Scholte van Mast

Teilnehmender Student der Lehrveranstaltung “Black Mountain College als Kreativitätsmodell. Zur Genealogie entgrenzender Kunstpraktiken und performativer Künste” (WS 13/14) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin.