Making-Of: Interview mit Gabriele Knapstein und Matilda Felix

Gabriele Knapstein und Matilda Felix im Gespräch in der im Aufbau begriffenen Ausstellung "Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-57" im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin.

Gabriele Knapstein und Matilda Felix im Gespräch in der im Aufbau begriffenen Ausstellung “Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-57” im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin.

Gabriele Knapstein, ist Kuratorin am Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin. Gemeinsam mit Museumsleiter Eugen Blume hat sie die Ausstellung Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957, (05.06.-27.09.2015) kuratiert. Matilda Felix trug als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin der Ausstellung einen wesentlichen Teil zur deren Entwicklung und Umsetzung bei. Der Ausstellung ging eine fast zweijährige Vorbereitungsphase voraus, die neben der engen Zusammenarbeit mit WissenschaftlerInnen verschiedenster Institutionen, insbesondere im Rahmen des kooperativen Forschungsprojektes Black Mountain Research, auch mehrere Recherchereisen in die Archive des Black Mountain College in den USA, unter anderem nach Asheville, North Carolina, inkludierte.

Verena Kittel von Black Mountain Research traf sich mit Gabriele Knapstein und Matilda Felix und sprach mit ihnen über die kuratorische Strategie der Ausstellung, deren North-Carolina-Reise, während der Recherche aufgetretene Konflikte sowie dem sich in den Themen der Ausstellung angesprochenen Verhältnis von Kunst/Museum und Educational Turn.

Black Mountain Research: Das Black Mountain College existierte von 1933-1957, also über 30 Jahre, in denen in intensiver Zusammenarbeit zahlreiche Kunstwerke und –projekte entstanden sind.  Wie sind Sie bei der Auswahl einer solchen Fülle von Werken vorgegangen?

Gabriele Knapstein in der im Aufbau begriffenen Ausstellung "Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-57" im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin.

Gabriele Knapstein in der im Aufbau begriffenen Ausstellung “Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-57” im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin.

Dr. Gabriele Knapstein: Obwohl das Black Mountain College einen so wichtigen Platz in der Geschichte der Kunstausbildung einnimmt, gab es bisher vergleichsweise wenige Ausstellungen, die sich diesem College gewidmet haben. Einer der Gründe liegt sicher darin, dass die Geschichte dieses Colleges so viele interessante Aspekte bereithält, dass es schwer fällt, eine Auswahl zu treffen. Auch zeigte sich in den Recherchen für die Ausstellung schnell, dass es nicht in erster Linie darum gehen würde, eine möglichst repräsentative Auswahl von Kunstwerken der dort lehrenden und lernenden Künstlerinnen und Künstler zu präsentieren. In der Ausstellung im Hamburger Bahnhof sollten auch die pädagogischen und gesellschaftlichen Ziele sowie die wissenschaftliche Ausbildung an diesem College eine Rolle spielen, und gerade in Berlin lag es nahe, nach dem Einfluß der deutschen und europäischen Emigranten in den 1930er- und 1940er-Jahren zu fragen. Um die Geschichte des Colleges also möglichst breit vorstellen zu können, waren Recherchen in verschiedenen Archiven wie dem Bauhaus-Archiv in Berlin, der Josef und Anni Albers Foundation in Bethany nördlich von New York sowie in den Archiven in Asheville in North Carolina unumgänglich. Nur hier konnten wir all die Dokumente finden, die jenseits der künstlerischen Arbeiten für die Ausstellung wichtig sein würden. Bei der Auswahl der Kunstwerke kam uns zugute, dass die reichen Bestände der Staatlichen Museen zu Berlin und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie der in Berlin beheimateten Privatsammlungen bereits einen guten Fundus für die Auswahl von relevanten Exponaten boten. Wir haben dann gezielt nach Werken gesucht, die uns für die Geschichte des Black Mountain College unverzichtbar erschienen und die wir nicht in den Berliner Beständen vorfanden.

BMR: Prozess- und experimenthaftes Arbeiten sind in der Lehr- und Lernauffassung am Black Mountain College von zentraler Bedeutung. Welche Rolle spielte das Experiment in der Ausstellungsentwicklung?

GK: Es war uns schnell klar, dass wir für die Ausstellung eine speziell auf das Thema zugeschnittene Ausstellungsarchitektur benötigen würden, um sowohl die Kunstwerke als auch das dokumentarische Material, die Publikationen des Colleges, die Film- und Tondokumente gut präsentieren zu können. Wir haben also eine Ausschreibung auf den Weg gebracht und haben uns nach Vorlage von vier sehr verschiedenen Entwürfen für das modulare System von raumlaborberlin entschieden. Dieser Entwurf orientiert sich in der Einfachheit der Materialien und der Klarheit der Konstruktion an den Bauweisen am Black Mountain College, das war bestechend. Außerdem ließ sich dieses modulare System im Prozeß der Vorbereitung am besten auf die von uns entwickelten Ausstellungskapitel und die konkreten Bedürfnisse der Exponate anpassen. So hat sich die endgültige Gestalt der architektonischen Einbauten im Laufe der letzten Monate nach und nach ergeben.
Da es uns in der Ausstellung nicht nur um eine historische Rückschau geht, haben wir nach einer Möglichkeit gesucht, das Material auf seine Relevanz für die heutige Situation der Kunstausbildung hin zu befragen. Wir haben den Künstler, Komponisten und Hochschullehrer Arnold Dreyblatt gewinnen können, ein Projekt zu entwickeln, das diesem Ziel dienen soll. Sein Konzept unter dem Titel “Performing the Black Mountain Archive” wird nun während der gesamten Laufzeit der Ausstellung mit Studierenden aus zehn verschiedenen Hochschulen aus dem In- und Ausland realisiert. Für das Museum stellt die tägliche Aufführung von Materialien aus dem Kontext des Black Mountain College ein besonderes Experiment und eine besondere Herausforderung dar, und wir können dieses Vorhaben nur dank der Kooperationsbereitschaft der verschiedenen Hochschulen und des Engagements der hier vor Ort arbeitenden Studierenden realisieren.

BMR: Inwiefern spiegelt sich dieses im Ausstellungsaufbau wieder?

GK: Für das Projekt “Performing the Black Mountain Archive” haben die Architekten innerhalb der Ausstellungsarchitektur einen Archiv- und Studioraum vorgesehen, in dem die von den Studierenden nach einer Partitur von Arnold Dreyblatt vorzutragenden Texte und Partituren in Archivboxen gelagert sind. In diesem Raum können sich die Studierenden mit dem Archivmaterial auseinandersetzen und jenseits der Aufführungszeiten auch ihrer eigenen Arbeit nachgehen, so weit dies im Rahmen einer Ausstellungssituation mit ihren diversen Beschränkungen möglich ist. Außerdem gibt es in der Ausstellung vier verschiedene räumliche Situationen, die mit ihren Stufen und Plattformen prädestinierte Orte für die geplanten Performances bilden. Und schließlich haben wir für die Ausstellung einen Flügel ausgeliehen, der gespielt werden kann.

BMR: Wie haben Sie sich dem Thema Black Mountain College genähert?

Matilda Felix in der im Aufbau begriffenen Ausstellung "Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-57" im Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin.

Matilda Felix in der im Aufbau begriffenen Ausstellung “Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-57” im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin.

Dr. Matilda Felix: Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, auch von Europa aus Zugänge zum Black Mountain College zu gewinnen. Zunächst einmal war das die klassische Rezeption von Literatur, und hier ist vor allem die Publikation von Mary Emma Harris zu nennen, die sich dem College seit 1969 widmet, verstreutes Material bündelte und 1987 die detailreichste Rekonstruktion des historischen College vorgelegt hat. Außerdem gibt es zwei wichtige Internetseiten vom “Black Mountain College Museum + Arts Center” und von den “Western Regional Archives”, auf denen Archivmaterialien veröffentlicht werden und die uns einen kleinen Vorgeschmack auf das wirklich umfangreiche Material lieferten, das wir dann vor Ort in Asheville sichten konnten.
Diese Recherchereise war in vielerlei Hinsicht zentral für unser Projekt. Wir konnten hier etwas Licht in einige der konfliktreichen Phasen des College bringen, die oft nur nebulös umschrieben werden. Wir sind hier auf neue Themen gestoßen, die für uns aus der europäischen Perspektive wichtiger waren, als sie vielleicht bisher in den USA verfolgt wurden. Figuren wie John Evarts, der in Berlin, München und New York Musik studiert hatte und das BMC in den 1930er Jahren musikalisch prägte, haben wir quasi aus einer Berlin-Perspektive heraus in die Ausstellung integriert. John Evarts wurde 1942 eingezogen und blieb nach dem Zweiten Weltkrieg als ‚Music Officer‘ in Deutschland. In Berlin war er 1975 an der deutschen Erstaufführung eines Theaterstücks von Xanti Schawinsky beteiligt, für das er 1938 am Black Mountain College die Musik komponiert hatte. Solche Biografien, die das Black Mountain College mit Berlin verbinden, haben uns fasziniert.
Es war auch ein eindrückliches Erlebnis, die ‘Original-Schauplätze’, das Gelände am Lake Eden und den Blue Ridge Campus, zu sehen. In den Schaukelstühlen auf dem Porch der Lee Hall zu sitzen oder in der Dining Hall zu stehen, in der Aufführungen wie das Untitled Event stattgefunden haben, war fast schon eine kleine Zeitreise. Solche Erfahrungen lassen sich vielleicht nicht in der Ausstellung ablesen, sind aber dennoch ganz wichtig für ihr Entstehen.
Ein anderes Highlight war eine Einladung der Ferdinand Möller Stiftung. Wolfgang Wittrock hat uns sein Sommerhaus am Zermützelsee zur Verfügung gestellt, wohin wir eine Woche in Klausur gegangen sind, um konzentriert und abseits der Betriebsamkeit des Hamburger Bahnhofs an dem Konzept der Ausstellung zu arbeiten – man, sieht, wir haben uns die Produktivität der Peripherie, die das Black Mountain College auszeichnet, zu eigen gemacht.
Und während der gesamten Vorbereitungszeit haben wir uns natürlich mit Menschen getroffen, die zum Black Mountain College gearbeitet haben, wie beispielsweise Andi Schoon oder Sigrid Pawelke, oder auch Ausstellungen vorbereiten, wie Helen Molesworth. Der Kontakt zu Künstlernachlässen, allen voran der Josef and Anni Albers Foundation und dem Xanti Schawinsky Estate, beeinflusst unsere Ausstellung ebenso wie zahlreiche Gespräche mit Wissenschaftlerinnen und Sammlern.

BMR: Welche Probleme traten bei der Recherche auf?

GK: Trotz der Komplexität des Themas mußten wir uns in der Vorbereitungszeit von rund zweieinhalb Jahren auf den Besuch einiger weniger Archive beschränken, obwohl es sich während der Recherchen rasch zeigte, dass gerade in den Archiven noch viel ungesichtetes bzw. bisher nicht berücksichtigtes Material zur Geschichte des Colleges bereit liegt. Wir hätten gerne noch mehr Archive und Künstlernachlässe in den USA besucht, konnten aber die Forschungsreisen nicht weiter ausdehnen, da wir als Wissenschaftler im Museumsalltag auch zahlreiche organisatorische und administrative Aufgaben zu erledigen haben – und es parallel auch andere Ausstellungsprojekte durchzuführen gab. So stellt unsere Ausstellung und das sie begleitende Buch eine Art Zwischenbericht dar, und aus unserer Sicht bietet das Black Mountain College auch künftig für die Forschung noch viel Material, das es zu recherchieren und zu interpretieren gilt.

MF: Insgesamt ging dieser Ausstellung eine sehr intensive Recherchephase voraus, bei der es eigentlich nur ein Problem gab, nämlich dass uns nicht viel mehr Zeit zur Verfügung stand.
Es war an manchen Stellen frustrierend, nicht noch viel intensiver eintauchen zu können und den zahlreichen Strängen, die sich bei jeder Reise ergeben und bei nahezu jedem Gespräch angedeutet haben, nicht immer nachgehen zu können. Ich verstehe inzwischen, dass Mary Emma Harris auch nach 40 Jahren noch nicht am Ende ihrer Forschungen ist.

BMR: Welche Relevanz hatte der aktuelle Austausch mit WissenschaftlerInnen und z.B. die gemeinsame Entwicklung von Symposien?

MF: Es ist tatsächlich eine Besonderheit, dass wir zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der Ausstellungsplanung eng mit der Freien Universität und dem Dahlem Humanities Center zusammen arbeiten konnten. Vor allem die kontinuierlichen Gespräche mit Annette Jael Lehmann haben einen Diskussionskontext etabliert, von dem wir wechselhaft profitieren konnten. Das zeigt sich sehr deutlich in diesem Blog aber auch in unserem Ausstellungskatalog, den Catherine Nichols fantastisch redaktionell betreut hat. Hier sind nicht nur Beiträge von Teilnehmerinnen des Symposiums abgedruckt, sondern auch viel Archivmaterial, mit dem wir hoffentlich Forschungs-Neugier wecken. Die Freie Universität und die Nationalgalerie sind natürlich Institutionen, die für sich stehen und arbeiten, aber im Austausch ist bei uns eine Synergie entstanden, für die es hoffentlich auch eine Fortsetzung gibt. Es ist extrem spannend, diese zwei institutionellen Perspektiven zusammen zu bringen, das ergibt eine Art ganzheitliches Arbeiten, was ich sehr genossen habe.

BMR: Welche Möglichkeiten entwickeln sich aus der Thematik für das Verhältnis von Kunst/Museum und Educational Turn?

MF: Die Stichworte Kunst / Museum / Bildung haben eine wahnsinnig große Schnittmenge. Diese Schnittmenge zu aktivieren, hat sich für unsere Ausstellung natürlich angeboten. Es ging dem BMC um Education, um die fächerübergreifende und konflikthafte Suche nach einer erstrebenswerten Bildung. Ich finde es reizvoll, dass College als eine Art Role Model für Fragen zu verstehen, die aktuell an europäischen Universitäten und Museen virulent sind. Wobei das Black Mountain College natürlich kein Vorbild ist, dem wir heute nacheifern können. Es hilft aber dabei, nicht nur kurzfristige Kosten-Nutzen-Rechnungen im Auge zu haben, sondern auch langfristige Auswirkungen zu imaginieren. Das Black Mountain College wurde 1933 mit einer sehr kurzen Vorlaufphase, fast spontan gegründet, und es hat knapp 25 Jahre in North Carolina, in einer sehr abgeschiedenen ländlichen Lage, existiert. Es war nicht besonders groß, einen ordentlichen Abschluss konnte man nur mit externen Prüferinnen und Prüfern machen, die Ausstattung war bescheiden und es wurde 1957 sang- und klanglos aufgelöst. Und dennoch haben wir Werke, die an diesem College entstanden sind, in der Sammlung der Nationalgalerie. Eine ganze Reihe von ‘Protagonisten’ des BMC werden zu zentralen Figuren verschiedener künstlerischer Sparten im 20. Jahrhundert. Eine effizientere Bildung als dieses selbstverwaltete und sich selbst versorgende College offenbar bot, an dem es keine festgelegten Lehrpläne und keine Credit Points gab, lässt sich kaum vorstellen.