Assoziatives Erinnerungsprotokoll: Ausstellungsaufbau

Wie habe ich den Aufbau der Ausstellung BMC im Hamburger Bahnhof am 18.5. von 10-12 Uhr inkl. Wartezeit erlebt?

Assoziatives Erinnerungsprotokoll (10:55 – 11.15 Uhr am 1. Juni 2015)

1 (Christopher)

Warten am Seiteneingang des Hamburger Bahnhofs. Durch den Vorraum, an der Panzerglasscheibe des Portiers vorbei, in den Bahnhof geschleust. Eine kurze Einführung in die Sicherheitsarchitektur des Museums erhalten. Dann von der stellvertretenden Kuratorin an die Hand genommen und ins Innere des linken, oder rechten Flügels geführt worden. Hier tauchen bereits erste Schwierigkeiten im Erinnerungsvermögen bezüglich des Namens der Kuratorin und der Verortung der eigentlichen Ausstellung innerhalb des Museums auf, schließlich fand die Beobachtung des Aufbaus vor nun mehr als zwei Wochen statt. Passieren diverse Restauratoren, es ist Montag früh, das Museum hat geschlossen. Dann betreten wir den rechten Flügel des Hamburger Bahnhofs. Links von uns eine Restauratorin, die vor einem riesigen, riesigen aus Holzplatten Noppenfolie und alten Kisten improvisierten Tisch steht und mit Akribie kleinere Ausstellungsgegenstände, zum Beispiel Gedichtsammlungen von Charles Olson, Flyer des Sommertheaters am Black Mountain College oder kleine, aufgezogene Gemälde entpackt und sie zeitgleich pedantisch, mithilfe langer Listen, in die papierne Bürokratie des Museums überführt. Versicherungsscheine, Kästchen mit tausenden Optionen für Kreuze, Vermerke, Anmerkungen, Beobachtungen etc. etc. pp. wiegen die kostbare Fracht mit vermutlich tonnenschweren Geldbeträgen auf, auf dass nicht ein tollpatschiger Restaurator oder ein noch viel schwieriger zu beurteilender Student, auf die Idee käme, den Unikaten auf irgendeine Art und Weise zu nahe zu kommen. Dokumentiert wird Eingang, Ausgang, Zustand vorher, naher, Verpackung [ ][ ][ ]

Der gesamte Raum, den Gebäuden des Black Mountain College nachempfunden und der Feder der Designer und Architekten des Berliner Raumlabors entsprungen. Bezüglich des Materials hat man sich auf Holz und Wellblech beschränkt und immer wieder laden Nischen und Plattformen zum Sitzen, Wiederaufstehen, Rumlaufen, Entdecken und Streunern und Nach-Alternativ-Durchgängen-Suchen ein.

Stünde nur nicht die Kunst im Weg. Und wir Studenten. Zum Beispiel den Kuratoren. Und den weißbehandschuhten Kunstschleppern, die im Auftrag der Kuratoren die Gemälde, z.B. die eines Rob Rauschenbergs, testweise vor die verbliebenen weißen Wände wuchteten, dort dann kurz zitternd, verweilend, auf das Los der Kuratoren wartend verharrten, nur um dasselbe Gemälde dann wieder ab- und umzusetzen, nur um dreißig Zentimeter weiter rechts, dieselben Bewegungsabläufe erneut zu wiederholen. Wiederholung und Experiment.

In einer riesigen Holzkiste, die Holzkisten stellen für mich das wahrscheinlich Faszinierendste des ganzen Tages dar, liegt oder hängt, handwerklich brilliant so aufgehängt, dass sie zu keiner Zeit des Transports die hölzernen Wände der Kiste tangiert haben dürfte, eine aus Draht geflochtene Kugel, vermutlich aus dem Werk Buckminster Fullers. Weiter hinten in der Ausstellung eine einzigartige Sammlung der Werke der asiatischen Größen der Porzellankunst, die am Black Mountain auch lehrten, im Westen fast vergessen, im Osten aber zu den größten Künstlern ihrer Gattung gehören, so der kurze Exkurs in die Porzellanwelten des Black Mountain, den uns die stellvertretende Kuratorin, just in in diesem Moment zurück von hinter der nächsten Holzkiste, wo ein wichtiges Telefonat geführt werden musste, freundlich gab. Ein wichtiges Telefongespräch hier und hektische Samthandschuhe dort und ein drunter und drüber, und diesem ganzen Trubel enthoben, faszinierende Holzkisten, mit Aufdrucken, von Absendern und Warnungen, und weiten Wegen aus der ganzen Welt hinter sich, zufällig angeordnet im Chaos des Aufbaus, von dadaistisch-bürokratischen Versicherungsgedichten benannt und von handwerklicher Brillanz geformt.
Ein ganzer Mensch würde in eine solche Kiste passen und eine ganze Ausstellung in mehrere solcher Kisten. Solche Kisten. Wie schade, dass sie letzten Endes unsichtbar bleiben werden.

2 (Anna)

Was mich in diesem Moment trägt an Empfindungen, an Gedanken, ist eine beständige Re-Aktualiserung dessen, was gezeigt wird: Was sind das für Bewegungen, die mich den Bildern, die ich sehe, näher bringen? Kann ich sie physisch vollziehen? Sie aktiv tanzen? Muss ich mich meinen Erfahrungen ergeben, derart dass sie das Außer-mir-sein meiner Wahrnehmungen immer schon bestimmt haben, ehe ich mich aktiv entscheiden kann? Ich lenke und werde gelenkt, ich selbst bin ein kuratorisches Prinzip, selektieren und konzentrieren sind die Fähigkeiten mit denen ich meine Plattformen baue. Ich suche mir eine Ermöglichung und frage: Wie finden wir Menschen Zugänge? Welche Rolle spielt diese Frage, wenn man Black Mountain ausstellt?
Die Kuratorin der Ausstellung erzählt über die zeitlichen Gliederungen der Praxis in Black Mountain, die die Basis für die Konzeption der Ausstellungsarchitektur bilden. Dann lässt sie uns wandern, zwischen die Zeiten und durch sie mit ihnen. Jeder Schritt durch den Raum verschiebt die eigene Perspektive auf diese Fragen. Jedes Verschieben der Bilder zu den Wänden, an ihnen entlang, erhoben von den Professionellen, die man an ihrer weißen Behandschuhung erkennt. Die konzentrierte Atmosphäre der Arbeitenden strukturiert den Raum, als könnte es einen Wetterbericht ihrer Gedankenwolken geben. Gegenseitig kann man sich versichern und darüber hinaus ist ohnehin alles hier versichert. Die Kisten türmen sich und in ihren Zwischenräumen scheitet man die Papierstöße wie am Rande des Rhein. Ich durchwandere den Strom an Entscheidungen, der gerade getroffen zu werden scheint. Sie werden entborgen, indem man versucht, die Zwischenräume zu finden, sie in Beziehung zu setzen. Alles ergibt sich aus den eigenen Beobachtungen. Eine Ausstellung im Wachsen erleben lässt den ganzen Raum in Schichten funktionieren.
Ich gehe in die Hocke : Ein gerahmtes Poem erhebt sich vor meinen Augen und durchdringt meine Sinne mit seinen Zeilen. Meine Hutkante spiegelt sich in dem Glas. Gerne würde ich in diesem Moment fotografieren. Doch man darf hier nicht : fotografieren : und berühren, darf ich auch nicht.
Man wahrt die Privatsphäre der Adresskleber, das Persönlichkeitsrecht im Markt der zeitgenössischen Kunst wie einst das eigene Glasauge. Um die Welt gereist, um zu berühren, aber nicht berührt werden können. Kein Staubkorn ist von diesen Transporten geblieben, lediglich lassen hier noch die Kisten, die Papierstöße und Luftpolsterfolien erahnen, dass die Reise weit gewesen ist hier her, in die Situation unserer Gegenwart, in die Situation der öffentlichen Gegenwart. Es tut mir dann für den Augenblick nichts zur Sache, dass ich hier eine unpräsentierte Präsentation verübe / ja, sogar beschreibe ich sie noch! Ich verlasse das Bild (feld), erhebe mich zurück in eine stehende Position. Das Blut schießt in meine Beine zurück.

3 (Barbara)

Am 18.05 sollte ich zum Ausstellungsaufbau erscheinen, leider, aufgrund von Bahnverzögerungen, hatte ich keine Möglichkeit persönlich da zu sein. Ich schätze, dass ich ein sehr interessantes Erlebnis verpasst habe. Viele Konstruktionen sollten einfach sehenswert sein. Ich finde, es ist eine ganz tolle Sache, beim Ausstellungsaufbau zuzusehen, wie alle Skulpturen und Installationen aufgebaut werden, um einen Einblick zu bekommen, wie das alles funktioniert. Es ging um die Funktionen und Bedeutung von Raum. Man könnte Fragen nach der Zeitlichkeit von Skulpturen stellen und dann sich Gedanken darüber machen, wie eigentlich solche Arbeitsformen in der Kunst entstehen. Durch die Vielfalt in der Kunst werden verschiedene Perspektiven auf das präsentierte Werk eröffnet, die große Vorstellungskraft erfordern.

Endzeit 11.35

Assoziationen Di 02. Juni Beginn 12:05

4 (Henrike)

Aufbau. Wie baut sich eine Ausstellung auf? Wer baut auf? Wie baut sich der Eindruck, der durch die Art und Weise des Aufbaus evoziert wird, selbst auf? Zu Beginn schwirren mir viele Fragen im Kopf. Warten, außen vor dem Hintereingang des Hamburger Bahnhofs. Passend, aber wohl eher ein spannender Zufall, dass nebenan ebenso „aufgebaut wird“. Ein Kran hebt Betonsteine, Baulärm untermalt unsere Gespräche über Ausstellungszusammenhänge, Kennenlernen und Alltägliches. Das Thema „Aufbau“ scheint kaum prägnanter. Im Inneren zuerst wieder Warten, Erwarten baut sich auf. Die Kuratorin geleitet uns durch die Räume des Museums. Auf dem Weg erkenne ich: auch an anderen Stellen beschäftigt man sich mit Aufbau, ein Maler überstreicht Flecken an der Wand, eine Frau arbeitet über einem Tisch. Wir laufen auf eine große orange Wand zu. Sie eröffnet uns das Eindringen in den Ort der Black Mountain Ausstellung, was nicht zuletzt am Logo des College, was im weißen Schriftzug konträr zum orangen Hintergrund vor uns prangt. Hier ist nun der Ort, mit dem wir uns beschäftigen. Ab diesem Moment fühle ich mich frei – ein Aufbrechen zur persönlichen Entdeckungstour. Die Gruppe löst sich, verstreut sich im strukturierten Chaos der Rauminstallationen des Raumlabors. Viele Materialien, viele Kisten, viele geometrische Formen, fast Skulpturen, viele Eindrücke. Menschen wuseln in Ecken, ein Bild gilt es gerade aufzuhängen. Vier Personen arbeiten daran. Eher Stille im Raum, nur von noch fremden Orten höre ich leise Stimmen, Gespräche, wahrscheinlich Instruktionen oder Beratungen, gegenseitiges Beratschlagen. Diese Orte entdecke ich später. Die Kuratorin beginnt unserer nun jetzt wieder zu einem Gefüge zusammenkommenden Gruppe eine Einführung in die Ausstellung zu geben. Es wird nach ihr verlangt, was den begonnen Vortrag stoppt, das aufkeimende Verständnis hinter den vielen Eindrücken, das Verstehen des Konzepts. Wieder warten, aber kein unangenehmes Warten, eher ein dankbares. Ich richte meine Blicke auf nichts Bestimmtes. Lasse sie eher mein Umfeld abscannen. Was sehe ich? Holz. Viel Holz. Eindrücklich verwinkelte Installationen und massive Holzkisten, transportierte Werke der Künstler. Ich stehe irgendwo zwischen ihnen, weiß nicht wie viele mich umgeben. Eigenartiges Gefühl. Versuche im Kopf die Ausstellung aufzubauen. Hänge mental die noch an der Wand lehnenden Gemälde auf, Kisten verschwinden, Lichter beleuchten die Werke stilvoll, Verpackungsmaterialien scheinen sich in Luft aufzulösen, Geräusche verfliegen. Wird wohl meine jetzt gedanklich aufgebaute, konstruierte Ausstellung mit der realen übereinkommen? Mit dem angenehmen Geruch von Holz in der Nase schaue ich nach oben: Das milchige Glasdach mit seinen dunklen Streben, lichtdurchflutet, scheint als Spiegel der einheitlichen Form und strengen Geometrie, gliedert sich in die Freiheit und Differenziertheit der Raumnutzung, welche aber dialektisch in der Gesamtheit der Konzeption zu einem Ganzen verschmilzt, harmonisch ein. Keine Fragen mehr im Kopf, vielmehr Eindrücke und Lücken, die ich selbst erst zu einem Ganzen zusammenfügen muss. Um Fragen formulieren zu können, wäre der Moment geklärt. Behalte es für mich und baue die Fragen nach dem Verlassen des Gebäudes im Verarbeiten des Besuchs für mich selbst auf. Ich weiß, ich kehre an diesen Ort zurück um sie mir selbst zu beantworten.

Endzeit: 13:15

5. (Sophie)

Nachdem ich mich leicht selbst überschätzte und den Großteil des Weges zum Hamburger Bahnhof zu Fuß bestritt, erreiche ich das Ziel fast 30 Minuten zu spät. Von dem Vortrag der Kuratorin höre ich nur noch einen Bruchteil. Sie lässt uns die Räumlichkeiten auf eigene Faust erkunden. Völlig verschwitzt stehe ich neben den Aufbauarbeiten für die Ausstellung und hatte durch den Stress und die Scham noch keinen Moment Zeit, meinen Blick schweifen zu lassen. Ich beginne, mich umzusehen, merke, dass ich bereits mitten in der Ausstellung bin.
Fast alles ist aus Holz, hier und da ist ein wenig Wellblech zu finden, das an das College selbst erinnern soll, so die Kuratorin. Das Holz gliedert den Raum, erzeugt Höhen und wirkt trotzdem transparent, wenn es wie ein Gerüst aufgebaut ist. Ich sehne mich danach, mich auf die Holzbänke zu setzen und von da aus Eindrücke zu erfahren. Die bessere Wahl ist jedoch der Gang durch den Raum.
Die Photographien, teilweise bereits gehängt, teilweise noch am Boden, wecken mich auf. Sie wecken in mir erste Vermutungen und Ideen über die Ausstellung. Ich habe Lust mehr zu sehen. Am liebsten wollen wir die Posen und Haltungen der Personen auf den Fotos nachstellen, um nachzuempfinden. Alles ist unglaublich ruhig, das Murmeln der Besucher fehlt. Immer wieder sehe ich mich um und beobachte die Leute, wie sie Arbeiten aufhängen oder entpacken. Auch sie reden nicht sehr viel. Alles wirkt sehr andächtig. Mit dem Blick nach oben, fast schon sakral, scheint das Licht durch das große Dachfenster, das wie für die Ausstellung gemacht zu sein ist.
Ich versuche mir vorzustellen, wie Lesungen gehalten werden, wo sich die meisten Besucher aufhalten werden und worüber sie sprechen werden. Noch viel mehr interessiert mich der finale Aufbau der Ausstellung. Ich kann es kaum erwarten, noch einmal durch den Raum zu gehen, mit dem Wissen, wie es noch vor wenigen Wochen aussah. Ich hoffe, ich werde noch die Leute vor Augen haben, wie sie alles herrichten, wenn ich durch die fertige Ausstellung laufe.

6. (Lena)

Treffen am Hamburger Bahnhof. Kommilitonin findet den Weg nicht, ich versuche telefonisch den Weg zu erklären, wir verschwinden im Museum, vom Seiteneingang, weil es ist Montag. Wir werden durch ein großes, orangenes “Black Mountain College”-Emblem empfangen, das übergroß an die Wand gemalt wurde. Es erinnert mich an diese häßlichen, französischen Longchamp-Taschen. Die haben dieselbe Farbe und ein ähnliches Markenzeichen. Ich widerstehe der Versuchung die Wand anzufassen, um zu prüfen, ob die Farbe noch feucht ist. Es riecht nach neubezogener Wohnung, Aufzug, Sägespänen und Ikea. Was für ein Raum ist das hier überhaupt? Irgendwo in der Mitte auf der rechten Seite vom Eingang. Der Raum selbst, schmal länglich, insgesamt länger als ich dachte, unter dem verglasten Dach des Bahnhofs. Es ist sehr hell, wieder erinnert es mich an ein Möbelhaus. Leute laufen durch den Raum, es ist laut, es wird geschraubt, geschoben, gehoben, dirigiert und delegiert. Der Raum wird von hölzernen Bauelementen dominiert. Bei den Bauten handelt es sich um keine Museumsarchitektur im herkömmlichen Sinne. Die Holzbauten gliedern sich nicht in den Raum ein, sondern stehen, scheinbar willkürlich im Raum, dabei behalten sie den Charakter des Integrierten. Sie bestehen aus glattem, hellen Holz, unterbrochen von Wellblechkonstruktionen. Durch die vielen Schrägen entstehen kleine Räume, die man betreten kann. Es gibt viele Wege und Möglichkeiten sich durch den Raum zu bewegen. Sie erinnern mich an Klettergerüste aus dem Kinderbereich von großen Kaufhäusern. Ein wenig wie ein schönes und wahrscheinlich ziemlich teures Baumhaus. Kleine Plattformen entstehen, eine Wand, um die Ecke eine Nische. Ich stehe auf der einen Seite der Wand, der Rest der Gruppe auf der Anderen. Ich höre ihre Gespräche so klar, als würden sie direkt neben mir stehen.
Zwei Helfer halten ein großes Bild an die Wand. Keine Ahnung, von wem das ist, oder warum es hier seinen Platz finden soll. Mir fällt Loriot ein: Das Bild hängt schief. Verstehen die hier eigentlich Spaß?
Im Raum verteilt sind großgezogene Fotografien von Künstlern des Black Mountain, entstanden aus dokumentarischer Absicht, andere mit eigenem künstlerischen Anspruch. Die Kuratoren der Ausstellung scheinen ähnliche Ansprüche gehabt zu haben. Black Mountain College dokumentieren, anwenden, performen, abbilden, nachempfinden.

Ein Artikel von Sophie Boysen, Anna-Maria Fiala, Lena Fiedler, Barbara Przynoga, Christopher Ramm, Henrike Simm

Teilnehmende StudentInnen der Lehrveranstaltung “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” (Sommersemester 2015) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin