Immaterialität – Relationalität – Energie
am 4. Juni 2015 im Museum Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Das Immaterielle erleben (Christopher)
Die Faszination, die das Black Mountain College hervorruft, findet ihre Wurzeln kaum im Materiellen. Was die Bedeutung des Black Mountain College retrospektiv wie gegenwärtig ausmacht, ist das Zwischen, das Intersubjektive, die Interaktion, das Interdisziplinäre: Die Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Lernenden und Lernenden, zwischen Campus und Umgebung, zwischen North Carolina und den kulturellen Hotspots wie New York der damaligen Zeit. Die Kommunikation, das Miteinander in Leben und Arbeiten, bilden den Nährboden für die revolutionäre Form der Lehre, die wir heute bewundern. Das Prozessorientierte, Ergebnisoffene Experimentieren stellte nicht die Produktion von Objekten, sondern die Arbeit am Subjekt ins Zentrum der Lehre. Diese Zweckfreiheit des Handelns verschaffte Studierenden sowie Lehrenden eine Freiheit des Lernens, wie sie heutzutage, angesichts einer fortschreitend ergebnissorientierten Gesellschaft, nur schwierig zu behaupten ist.
Um das interdisziplinäre Experiment, das Blackmountain war, greifen zu können, muss eine Ausstellung einen Weg finden, das Immaterielle erlebbar zu machen und den Fokus auf das Zwischen, auf die Ästhetik der Beziehungen richten.
Genau dieser Versuch wird von den Kuratoren der Ausstellung Eugen Blume und Gabriele Knapstein bei der Eröffnung der Ausstellung betont. Blickt man sich im Innenhof des Hamburger Bahnhofs während der Ausstellungseröffnung am 4.6. um, so unterscheidet sich das Ambiente ein wenig vom Trubel anderer Ausstellungseröffnungen. Es wird gesprochen, es wird gegrüßt, gestanden, gegrillt (!), getrunken, wie auf jeder anderen Ausstellungseröffnung. Auch fallen die Namen großer Blackmountain Künstler_innen, von den Albers’ über Kline bis Rauschenberg, doch scheint es schwierig zu sein, das zu benennen, was es eigentlich ist, weshalb man sich hier versammelt hat. Experiment, ja. Kreativitätsmodelle, ja. Interdisziplinäres Arbeiten, ja. Und doch ist nicht ganz getroffen, worum es eigentlich geht, oder doch? Und dass der Hamburger Bahnhof jetzt plötzlich ein Campus sei, naja, das klingt nett, aber das ist doch kaum viel mehr als eine Phrase, oder doch nicht? Reicht es Studierende heranzuziehen, die auf verschiedenen Plattformen schreiben, sprechen, performen, musizieren, arbeiten, um den Spirit des Black Mountain zu spüren? Liegt es daran, dass die handelsübliche und dominate Bewertungskategorie unserer Zivilisation intuitiv betrachtet an der Essenz des Black Mountain College vorbeizuschrammen scheint: nämlich Geld? Es gibt jedoch einige, heute mit beträchtlichem monetärem Wert aufgeladenen Kunstwerke in der Ausstellung (Albers, Twombly, Rauschenberg), die als Objekte eine Fetischisierung erlauben. Möge die Sammlung Marx Werke zur Verfügung stellen, sie sind elementarer Teil des Colleges, aber sie sind nicht das Herz der Ausstellung. Ich möchte nicht behaupten, dass Geld keine Rolle gespielt habe, um die Ausstellung auf die Beine zu stellen. Aber das Geld steht nicht im Zentrum des Interesses, weil das Black Mountain College (zunächst) keinen kapitalistischen Wert generiert hat.
Das Ausstellungsdesign des Raumlabors Berlin bietet vermutlich die Grundlage für eine Ästhetik der Beziehungen, wie sie Nicolas Bourriaud in Relational Aesthetics beschreibt. Wenn es der Ausstellung gelingt, trotz Eintrittspreisen, Museumswächter_innen, selektiver Auswahl von Kunststudierenden und dem insgesamt exklusiven Charakter der Kunstwelt, den Fokus auf die Beziehungen zwischen Ausstellungsraum, Inhalt, Besucher_innen, Künstler_innen und Wissenschaftler_innen zu lenken, dieses Bewusstsein für das Miteinander zu schaffen, dann trägt sie einen entscheidenden Teil zum Verständnis des Kosmos Black Mountain bei. Die Ausstellungseröffnung zumindest vermittelte den Eindruck, dass es auf den ersten Blick nichts Greifbares, nicht direkt zu Fassendes gibt. Es ist eine Ausstellung, die nicht in der Facon von easy listening konsumiert werden kann, sondern sie eröffnet möglicherweise die relationale Erfahrung von etwas Immateriellem.
Ausstellung als Schauspieler (Henrike)
Die Eröffnung der Ausstellung erscheint als gesellschaftlicher Akt, als Event, als Fest des Ehrens, des Dankens, des Rezipierens und wohl auch Konsumierens von Kunst, Erfahrung und leiblichen Genüssen. Die Eröffnung einer Ausstellung fungiert aber vor allem als Moment des ersten Erblickens der Ausstellung an sich, in ihrem Zusammenwirken von Material, der Art und Weise dessen Platzierung und Darstellung im Raum, und rezipierender Personen.
Der russische Regisseur und Schauspieler Wsevolod E. Meyerhold schrieb 1922 in “Der Schauspieler der Zukunft und die Biomechanik” über das Schauspiel:
Die Kunst des Schauspielers besteht in der Organisation seines Materials, d.h. in der Fähigkeit, die Ausdrucksmittel seines Körpers richtig auszunutzen. In der Person des Schauspielers konjugieren der Organisator und das, was organisiert werden soll (d.h. der Künstler und sein Material). In einer Formel ausgedrückt, sieht das so aus: N=A1+A2, wobei N der Schauspieler ist, A1 der Konstrukteur, der eine bestimmte Absicht hat und Anweisungen zur Realisierung dieser Absicht gibt. A2 ist der Körper des Schauspielers, der die Aufgaben des Konstrukteurs ausführt und realisiert. (1)
Stellen wir uns nun vor, dass die Ausstellung zum Black Mountain College N ist, also der Schauspieler, so scheint diese Theorie hier aufzugehen. A1, der Konstrukteur, lässt sich in den Personen der Kuratoren erkennen, A2 ist die Verwirklichung der Absichten von A1 im Körper der Ausstellung (wobei ich hier nicht den Begriff ‘Absichten’ stark machen würde, es ließe sich eher von Ideen/ Konzepten sprechen). Der Körper verfügt über das gegebene Material, die zahlreiche Sammlung an Kunstwerken, Dokumenten und Arbeiten, die aus dem Black Mountain College hervorgingen. Diese sind nun auf eine ganz eigene, besondere Weise im Hamburger Bahnhof angeordnet durch A1. Und gerade durch diese Anordnung im Raum, speziell die Rauminstallationen des Raumlabor Berlins, das Zusammenwirken von A1 und A2, erfahren wir N auf die Art und Weise, wie wir sie erfahren. Eine subjektive, harmonische, informative und spannende Ausstellung, die dem Wirken eines Schauspielers, hier als abstrakte Idee der Veranschaulichung kurz gefasst, nahe kommen könnte.
Relationalität (Anna)
Enthusiasmus ist ein schillerndes Wesen und ein öliges Trägermaterial, leicht und gut geeignet, auf seiner Grundlage aus-zu-rutschen. Ein Phänomen der Ausstellungskritik und noch öfter eines der Ausstellungseröffnungen. Im Versuch jedoch, sich einem Verständnis für Formen des Lernens, wie sie im Black Mountain College praktiziert wurden, anzunähern, eine Annäherung zu vollziehen, welche jenseits des blanken Enthusiasmus stattdessen in den Schichten möglichen Verstehens nistet, ein paar Gedanken zur Ausstellung im Hamburger Bahnhof: Der Kobel des Black Mountain College war ein Ort der Innovation in den Bereichen (Aus-)Bildung und Lehr/Lern-Methoden. Es war die Vision von John Andrew Rice und Josef Albers gewesen, jungen Menschen jedweder Ausbildungsrichtung, seien es junge Journalisten oder vielversprechender Nachwuchs im Bereich der Drucktechniken, Kunst verbunden mit Lebensdisziplin und Techniken der Observation näher zu bringen. Die derart gestaltete Ausbildung verblieb zu einem gewissen Grad ein unbestimmtes Format. Lehrpläne und Noten waren genauso wenig existent, wie Anträge zur Einwerbung externer Gelder sich in bestehende Forschungsfelder mit akribischer Zielorientierung einzuschreiben hatten. So eröffnete Leiter Prof. Eugen Blume die Ausstellung am vergangenen Donnerstag. Es lässt sich nun theoretisch – mit Nicolas Bourriauds vielfach zitiertem Begriff der relational aestehtics – in Bezug auf die Lehrpraktiken in Black Mountain eine Perspektive fassen, die sich in der Konzeption und Architektur der Ausstellung wieder findet. Dabei stehen die Fragen im Mittelpunkt, warum gerade im gegenwärtigen Moment Ausbildungsstrukturen wie die des Black Mountain College neu relevant werden und welche Rolle eine museale Rückschau auf historisch-utopische Realitäten dabei spielen kann. Wie lässt sich die Faszination für beispielsweise John Cages Praxis, drei Mal täglich beim Essen in der College-Kantine für Gespräche und Kritik den Studierenden zur Verfügung zu stehen, in die Ausstellungspraxis transformieren?
Es ist nach Bourriaud eine Gleichzeitigkeit von Konsensgesellschaft und darin existenter Alternative möglich, als sich künstlerische Arbeit in den sozialen Zwischenräumen, in den Ritzen platziere. Er beschreibt den Raum künstlerischer Produktion als
space in human relations which fits more or less harmoniously and openly into the overall system, but suggests other trading possibilities than those in effect with this system. This is the precise nature of the contemporary art exhibition in the arena of representational commerce: it creates free areas, and time spans whose rhythm contrasts with those structuring everyday life, and it encourages an interhuman commerce that differs from the ›communication zones‹ that are imposed upon us. (2)
Damit ist eine Aktivität bestimmt, die direkt in das Feld der zwischenmenschlichen Erfahrungen eingreift. Die Ausstellung greift das auf: Studierende werden sich in den nächsten Wochen als (auditive) VermittlerInnen archivarischer Materialien in die Ausstellung begeben und in der Performanz von Texten jeweils Zentren in der Ausstellungsarchitektur kreieren, die temporal kurzfristig sich strukturiert und wieder aufgelöst finden. Dabei lenken sie die Bewegung der BesucherInnen durch den Hamburger Bahnhof jenseits einer Orientierung an den ausgestellten Objekten. Es etablieren sich Positionierungen aus der Partizipation am sich verändernden Geschehen. Vielleicht lassen sie in diesen plan-losen Strukturen der Ausstellungs-Zwischenräume andere, neue Arten von Beziehungen der BesucherInnen zu den Arbeiten entstehen, das gilt es zu erfahren, in der Selbstbewegung.
Energie (Sophie und Lena)
Wärme fließt stets vom Ort hoher Temperatur zum Ort tiefer Temperatur.
Alle anderen Energieformen, die von einem System auf ein anderes übergehen, werden zusammenfassend als Arbeit bezeichnet. Die Summe von Wärme und Arbeit bestimmt die Änderung der inneren Energie jedes Systems.
Es war sehr warm drinnen.
Nun, Mädchen, weil es so kalt ist, möchte ich dich warm halten
Ich habe die richtige Temperatur, um dich vor dem Sturm zu schützen. (3)
Zwei Räume nebeneinander in einem geschlossenen System. Es gibt ein klar gekennzeichnetes Außen. Dort sammeln sich die aufgeladen Besucher. Es gibt viele von ihnen und sie wollen alle dasselbe. Der Direktor tritt nach außen und heißt die Besucher willkommen. Er beschreibt den bisherigen Verlauf des Experiments und dankt den Anderen. Das Klima ist wohl temperiert. Man kennt sich bereits. Und dann! Der Vorgang der Diffusion wird eröffnet. Alle Besucher strömen nach innen, der Kanal verengt sich, die Bewegung verlangsamt sich und gerät ins Stocken.
Innen stauen sich die Besucher, sie geraten aneinander, die Reibung erzeugt Wärme. Die Besucher sind das Kraftwerk, das die Räume heiß hält. Durch die Bewegung, das Rotieren um die Arbeiten, entsteht mehr Wärme. Viele Menschen erzeugen noch mehr Wärme. Zu viele Menschen produzieren Hitze. Der Preis ist heiß.
Wir warten noch immer draußen und beobachten den Versuchsaufbau. Dann der Eintritt ins System. Hier herrschen andere physikalischen Wirkungsgesetze. Keine Rotation mehr, kein Gedränge, der Raum ist wieder leer. Die Arbeiten sind immer noch da. Es ist immer noch heiß. Macht ja nichts. Wir kommen vom Kalten ins Warme. Am Ende glänzen alle Gesichter.
Ein Artikel von Sophie Boysen, Anna-Maria Fiala, Lena Fiedler, Christopher Ramm und Henrike Simm
Teilnehmende StudentInnen der Lehrveranstaltung “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” (Sommersemester 2015) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin
1 Wsevolod E. Meyerhold, “Der Schauspieler der Zukunft und die Biomechanik” (1922), 1974 S.73 f.
2 Bourriaud, Nicolas: Relational Aesthetics, Dijon: Les presses du réel 2002, S. 16.
3 Sean Paul