Josef Albers, Anni Albers und Xanti Schawinsky: Rhythmus und Experiment

Josef Albers: Variant / Adobe, 4 Central Warm Colors Surrounded by 2 Blues, 1948. Öl auf Masonit, 66 x 90,8 cm. © The Josef and Anni Albers Foundation, VG Bild-Kunst, Bonn 2015 .

Josef Albers: Variant / Adobe, 4 Central Warm Colors Surrounded by 2 Blues, 1948. Öl auf Masonit, 66 x 90,8 cm. © The Josef and Anni Albers Foundation, VG Bild-Kunst, Bonn 2015 .

In der Black-Mountain-College-Ausstellung im Hamburger Bahnhof verbinden sich die Arbeiten verschiedenster Künstler in der experimentellen Auseinandersetzung mit Form, Farbe und Rhythmus. Die Dimensionen des Experimentellen erwiesen sich als künstlerisches Verfahren, in dem eine Entgrenzung zwischen den Künsten festzustellen ist. Im Rückblick lassen sich die Arbeiten in ihrem Ansatz miteinander vergleichen: Die Webarbeiten von Anni Albers, die Farbquadrate von Josef Albers und die „Sketches for Spectodrama“ von Alexander Schawinsky.

Die Farbexperimente von Josef Albers folgen einer ähnlichen Grundüberlegung, wie die seiner Frau Anni Albers. Beide verließen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 Europa und emigrierten in die vereinigten Staaten. Von 1933 bis 1949 lehrten beide am Black Mountain College. Während dieser Zeit entwickelte Josef Albers die Prinzipien, die später in der Serie „Homage to the Square“ zur Anwendung kommen. Albers Farblehren-Kurs begann mit einer systematischen Untersuchung der tonalen Möglichkeiten von Farben in ihrer Abhängigkeit. Die Interaktion der Farben wird in seinen Gemälden zur rhythmischen Erfahrung. Die einzelnen geometrischen Formen überlagern sich, setzen sich gegeneinander ab und lassen so den Eindruck von Bewegung entstehen. Albers nannte seinen Einführungskurs in die Gestaltung „Werklehre“, um der Gestaltung des Materials eine stärkere Gewichtung zu geben: „This method emphasizes learning, a personal experience, rather than teaching.“ (1) Ästhetische Praxis verband sich im Black Mountain College immer mit einem edukativen Ansatz. Kunstvermittlung wurde als emanzipatorische Praxis begriffen und praktiziert.

Das „forming out of material (e.g. paper, cardboard, metal, sheets, wire), which demonstrates the possibilities and limits of materials.“ (2) verbindet Albers Werk mit dem seiner Frau Anni Albers. Sie erarbeitet sich in ihrem Webwerken einen immer neuen Zugang zu den verschiedenen Materialien. Ihre Unterrichtsmethode bestand aus einer experimentellen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Materials, „unresponsy to any demand of usefulness, an enjoyment of colors, forms, surface contrasts and harmonies, – a tactile sensuousness.“ (3) Ausgehend vom Material, verbindet auch Albers das Experiment mit der Absage an jedes Nützlichkeitskalkül. In ihren Webkursen vermittelt sie ihren Studenten Design als „considered relationships“, zwischen Funktion und Form. Die einzelnen Formelemente ihrer Arbeit lassen sich dabei ebenso als Beziehung auffassen, wie bei Josef Albers. Die horizontal-vertikal verschränkten Farbfelder erinnern an die Farbexperimente, genauso wie an die Raumkonzeption von Xanti Schawinsky. Werke wie „Two“ von 1952, „Monte Alban“ von 1936-1937, oder „Untitled“ von 1934 von Anni Albers sind ähnliche Raumexperimente, wie sie Josef Albers und Schawinsky beschäftigten. Ausgehend vom Material werden Formen miteinander in Verbindung gebracht und im Raum als Ort gebunden. Ihnen allen ist ein interdisziplinäres Abwägen und Austarieren immanent: ein komparativer Ansatz. Anni Albers lässt sich ebenfalls mit Josef Albers und Xanti Schawinsky verbinden, weil ihr Werk in der Bauhaustradition verhaftet bleibt: „In many respects the weaving program at Black Mountain was a direct continuation of the Bauhaus ideal of the designer-craftsman“. Die Bauhaustradition verbindet den universellen Ansatz dieser drei Künstler miteinander.

Schawinsky wurde 1936 ans Black Mountain College geholt. Als Student und Kollaborateur Oskar Schlemmers kam er im Zuge des Aufstiegs der Nationalsozialisten 1936 ans College. Er bemerkte sofort, dass am „Black Mountain College an educational crack seemed to be in order.“ (4) Schawinsky leitete den Kurs „stage studies“, seiner Meinung nach ein unglücklicher Titel, weil „the subjects of the studies consisted of space concepts, color, form, motion, time, space-time, communcation, sound, rhythm, poetry, language, music, architecture, physics ( … ).“ (5) Wieder ein ganzheitlicher Ansatz, zwischen bildender Kunst, Musik und Performance. Während die Bauhausbühne die Modernisierung der theatralen Mittel und Konzepte anstrebte, funktionierte das Black Mountain College als „educational crack at the whole man“. Die Bildbeschreibung der „Sketches for Spectodrama: Play, Life, Illusion“ von 1936 lautet:

elementary form and color on the stage (demonstration): blue line rising slowly – red flat traversing – yellow plane approaching rapidly from background. Triangle, square and circle move to positions of tension, harmony, etc.; spectrum rotates, becomes a spiral. (6)

Die Beschreibung ist ein Formexperiment, ähnlich dem Josef Albers. Im Spectodrama verhalten sich Tänzer und Performer zu einfachen Formelementen, wie Kreisen, Linien und Dreiecken. Was ist die Form in Beziehung zu einer anderen? Schawinsky und Albers experimentieren mit der Wirkung von Farbe, Formen, Linien und Flächen aufeinander, mit der Subjektivität der optischen Wahrnehmung. Auch bei ihm ist der nicht-narrative Teil einer Performance, also die Wirkung des Lichts, der Bewegung und der Musik von größerer Wichtigkeit als die Übermittlung verbaler Inhalte. Schawinsky brachte seine formalen Experimente noch auf ein anderes Level: Die Untersuchung des Menschen und seiner Umgebung.

Bei allen drei Künstlern findet sich die Ausrichtung auf einen aktiven Betrachter durch eine raumbezogene und prozessuale Ästhetik. Durch eine Auseinandersetzung mit abstrakten Formen wird mit Rhythmus und Bewegung experimentiert.
Sie vereint ein Wille zum Experiment, der am Black Mountain College zu einem Ausdruck fand.

Ein Artikel von Lena Fiedler

Teilnehmende Studentin der Lehrveranstaltung “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” (Sommersemester 2015) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin

1 Emma Harris, Mary The Arts at Black Mountain College, S. 17.
2 Ebd.
3 zitiert nach Anni Albers „Handweaving Today: Textile Work at Black Moutain College, S. 3-7.
4 Emma Harris, Mary The Arts at Black Mountain College, S. 40.
5 Xanti Schawinsky, Spectodrama, in: Form, Cambridge, England, No. 8, September 1968, S. 16.
6 Emma Harris, Mary, The Arts at Black Mountain College, S. 42.