Ausgestellte Akustik

Ausstellungsansicht, "Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-57", Videoaufzeichnung einer Wiederaufführung von "The Glyph" während des New York Dance Festivals am Delacorte Theater am 4. 9. 1977, Courtesy: The New York Public Library for the Performing Arts, Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart - Berlin.

Ausstellungsansicht, “Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-57”, Videoaufzeichnung einer Wiederaufführung von “The Glyph” während des New York Dance Festivals am Delacorte Theater am 4. 9. 1977, Courtesy: The New York Public Library for the Performing Arts, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin.

Stellen wir uns vor, die Ausstellung sei ein großes Puzzle, ein Mosaik aus tausend Teilen, wie es redensartlich heißt, ein Zusammenspiel aus Details. Eines dieser Details ist für die Besucher auf den ersten Blick vielleicht weniger offensichtlich, als andere, dabei ist es für unsere individuelle Wahrnehmung und Erfahrung prägend. Schauen wir genauer hin, entdecken wir es an zahlreichen Orten der Ausstellung: die Akustik. Was ist gemeint, wenn in diesem Zusammenhang das Wort ‘Akustik’ fällt? Akustik steht zunächst für alles akustisch, also auditiv Wahrnehmbare. Hierunter würde das Murmeln des Museumspublikums untereinander, das Klacken der Stöckelschuhe mancher Frauen auf dem Boden genauso fallen, wie die ermahnend laute Stimme des Museumspersonals oder das verhaltene Husten mancher Besucher, kurz gesagt, neben den beispielhaft aufgezählten, alle Geräusche im Raum. Doch sind all dies Geräusche, die wir üblicherweise einem uns bekannten und wahrscheinlich oft erlebten Museumsbesuch zuordnen können. Im Falle der Ausstellung zum Black Mountain College treffen wir aber auf eine speziellere Akustik, eine gefasste, gerahmte, man könnte sagen „ausgestellte“ Akustik. Wie lässt sich das verstehen?

Sich selbst identifizierend als interdisziplinäres Experiment, gelang es dem Black Mountain  College, auch der Musik und dem Hörbaren einen entscheidenen Raum zu geben, es zu fördern und zu prägen. Laufen wir durch den Ausstellungsraum im Hamburger Bahnhof, erkennen wir zwischen Gemälden und Plastiken, Leinwänden und Fotografien auch Notenblätter, die sich in Bilderrahmen oder in Glasvitrinen wie kleine Puzzleteile in das Gesamtbild einfügen, die uns einladen akustisch nachzuempfinden. So blicken wir auf die gerahmte Notenzeile von John Cage von Haiku 1951, sieben Noten, ein Werk, ebenso auf weitere Notenbücher von ihm. Aber auch Noten zum Dance macabre werden ausgestellt, neben Fotos desselben, die wir vielleicht indirekt aufgefordert oder unterbewusst interessiert zusammen bauen, Bilder und Noten verknüpfen, um dem Dance Macabre ein Gesicht zu verleihen und ihm so womöglich ein Stück näher zu kommen. Doch setzt die Ausstellung kein musiktheoretisches Können voraus, verlangt nicht der Notenlehre Herr zu sein, sondern offenbart vielmehr die Möglichkeit unterschiedlicher Zugänge zum Thema.

Einen sehr direkten Weg zur Musik liefern diverse Kopfhörer, die an treffenden Stellen im Raum Platz gefunden haben.So auch neben den ausgestellten Noten zu Ursula Lewis’ Fugue. Wir können durch die Kopfhörer der Wellenmelodik lauschen, ihre Empfindungen aufnehmen, uns ein akustisches Bild malen und obendrein, aber nicht zwanghaft, mit den Augen den Noten hinter Glas folgen, die Töne mit den Zeichen verbinden, die Spielart des Pianisten Holger Groschopp (Aufnahme Recording 2013) mit den von der Komponistin vorgegebenen Anweisungen „moderately fast, with energy“ vergleichen, eine audiovisuelle Erfahrung, die wir selbst beeinflussen. Einen weiteren Weg des Zugangs eröffnet uns die Darstellung von The Glyph. Hier können wir sowohl durch die Kopfhörer, als auch durch ein Video dem Glyphen näher kommen. Im Video wird eine Wiederaufführung des BMC Tanzes von 1951 während des New York Dance Festivals am Delacrote Theatre vom 4. September 1977 gezeigt. Während wir die Tönen hören, auf dem Bildschirm den Bewegungen der Tänzerin folgen, können wir auch hier die Noten betrachten, welche links neben dem Screen aufgehängt wurden. Aber nicht nur Musik versteckt sich hinter den Kopfhörern, auch Gesprochenes, wie der Live-Mitschnitt eines Vortrags von Xanti Schawinsky (Spectodrama 1953), gehalten auf der Konferenz Aspen Intenational Design Colorado. Wir hören seine mit Akzent Anweisung gebende Stimme, beschreibend und auffordernd, schließen wir die Augen, können wir wieder unbewusst interessiert oder bewusst versuchend einen Raum rekonstruieren. Wie hat sich das Gehörte ereignet, in welchem Rahmen? So hören wir nicht nur Inhalte, sondern auch einen imaginären Raum, wenn wir wollen. Wie andere akustische Elemente, beispielsweise der schwarze Flügel, oder die Performances der Studenten (für die Besucher unerwartete Rezitationen von BMC-Texten im Ausstellungssaal) gesondert fungieren, soll hier zunächst nicht weiter beleuchtet werden, doch erkenntlich scheint mir, dass wir immer die Entscheidung treffen, ob wir uns dieser Form der Akustik annehmen, ob wir aus Neugier die Kopfhörer aufsetzten, den Noten nebenbei Aufmerksamkeit schenken, das Video hinzunehmen, oder einfach nur die sieben Noten von Cage wie ein Kunstwerk betrachten, man könnte doch bei allen Beispielen von einer Art „ausgestellter“ Akustik sprechen. Einem Puzzleteil im Gesamtkonzept, was uns die Möglichkeit liefert, einen Allsinnes-Eindruck zu erschaffen, auch ein Puzzle unserer Wahrnehmung.

Ein Artikel von Henrike Simm

Teilnehmende Studentin der Lehrveranstaltung “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” (Sommersemester 2015) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin