Erfahrungs- und Forschungsraum: Das Museum
Black-Mountain-College-Ausstellung im Hamburger Bahnhof Berlin
1. Lerndynamiken/Dynamiken der Erfahrung und Arbeitsprozesse
2. Perspektiven für die Zukunft (Eigenes Studium/wünschenswertes/praxisnahe Arbeit)
3. Erfahrungs- und Arbeitsraum Museum: räumliche Atmosphäre/affektiv und subjektiv/anekdotisch
Eine Ausstellung, deren Kern nicht wirklich ausstellbar ist.
Ein Seminar, dessen Inhalt nicht wirklich vorgegeben war.
Eine Form der Didaktik, der kein konkretes Ziel innewohnte.
Ein Experiment. Der Versuch einer Annäherung, ein Zirkulieren und Streunern um ein immaterielles und interdisziplinäres Forschungsobjekt.
Auf diese Weise lässt sich möglicherweise die Arbeit im Seminar Tracing Black Mountain von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann (Freie Universität Berlin) und an der Ausstellung Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957 am besten beschreiben.
Das kollektive Lernen und Handeln bestand in der Hauptsache in der Begleitung der Ausstellung im Hamburger Bahnhof anhand des parallel entstehenden Internetblogs. In einem Wechselspiel aus Ausstellungsbesuchen und Gruppendiskussionen, individueller Recherche, Lektüre und gemeinsamem Schreiben, fand somit eine Begegnung mit dem Kosmos Black Mountain statt, die für den regulär-universitären Turnus eher ungewöhnlich ist. Denn selten werden Resultate studentischer Arbeit direkt mit der Öffentlichkeit konfrontiert. Die autopoetische Feedbackschleife studentisch-wissenschaftlicher Forschung findet eher im Verborgenen statt, schließlich ziemt es sich nicht Menschen ohne akademischen Abschluss auf die Öffentlichkeit loszulassen. Zweckdefiniertes Lernen!
Doch ist es nicht genau dieses öffentliche Echo, dass die Studenten am Black Mountain College in die Lage versetzte, prozessorientiert zu lernen? Feedback im geschützten, aber nicht isolierten Raum. Learning by doing, für mich die Quintessenz der Lehre John Deweys, funktioniert letzten Endes nicht im hermetischen Kosmos, vakuumdicht abgeschottet von jeglicher Möglichkeit des Scheiterns.
So mag nicht jeder Black-Mountain-Student in den Augen der Kunstwelt erfolgreich gewesen sein und so mag auch nicht jeder Blogeintrag unseres Seminars vom Geist großer Wissenschaft oder kulturrelevanter Tragweite gewesen sein. Und doch wurden Inhalte vermittelt, Thematiken verhandelt und gleichzeitig Wissen produziert– mehr als das im standardisierten Universitätsmodell der Fall ist.
Im Black Mountain College fanden Lernprozesse jenseits von Vermarktungsstrategien statt. Die Arbeit war eine Arbeit am Individuum in der Gruppe, nicht an der Profilierung eines gesellschaftlichen Avatars gemessen. Wie könnte universitär-wissenschaftliche Arbeit abseits des Schmiedens an der akademischen Karriere oder der selbstausbeuterischen Prozesse in den Mühlen der Drittmittelbetriebe aussehen? Ist eine egoistische Form des Lernens für sich selbst möglich? Eine Form des Lernens abseits der Profilierung?
Am Selbst orientiert zu lernen – denn nur durch diese Form der zweckgebundenen, identitätsstiftenden Wissenschaftsarbeit kann es zu einer Selbstbefriedigung kommen -, darin liegt der Sinn, der für eine Befriedigung des individuellen Begehrens vonnöten ist. Denn am Black Mountain wurde nicht nicht-zweckorientiert gelehrt. Nur fand die Sinnsuche nicht in einem in der Ferne geschehenden Kunst- und Wissenschaftsmarkt statt, sondern vor Ort, im Selbst der Lehrenden und Lernenden. Das Finden dieses Sinns, ist meiner Meinung nach der Schlüssel zur Selbstfindung, zu Selbstbewusstsein und somit auch zum Erfolg. In der humanistischen, am Menschen orientierten Lehre des Black Mountain College, liegt meines Erachtens das Erfolgrezept des gesamten Experiments. Hierin liegt auch der Reiz, den Black Mountain heutzutage ausmacht: weil die momentane, kapitalistische Gesellschaft es nicht mehr versteht, am und für den Menschen zu arbeiten und sich immer weiter zu entwickeln, hin zu einer posthumanen Diktatur der Statistik und des Designs. Der Wunsch einer Gesellschaft nach einer Liberalisierung von Pflichten bei gleichzeitigem Wunsch, den Geist von Kunst und Wissenschaft zu bezwingen, ohne den Leistungs- und Erfolgsdruck einer globalisierten Gesellschaft ausgesetzt zu sein, wird sich nie erschöpfen können. Daher bleibt das Black Mountain College ein immerwährendes Phänomen eines Gesellschaftsansatzes, der auch weitere Generationen faszinieren wird.

Warum setzen wir uns jetzt mit diesem Thema auseinander? Was hält der Sehnsuchtsort “Kollektiv” für uns bereit? Während des Seminars und der Beschäftigung mit der Ausstellung zieht sich die Idee des Kollektivs, die Vorstellung von gemeinschaftlichem Arbeiten wie ein roter Faden durch die Arbeiten. Im College fielen Leben und Arbeiten in der Gemeinschaft zusammen und wurden so zu einem produktiven Spannungsverhältnis. Die Lehrer hatten keine festen Lehrpläne und die Studenten keine vorgegebenen Prüfungen. Das gemeinschaftliche Arbeiten war Fluch und Segen zugleich. Wer sich für einen Kurs nicht vorbereitet hat, dem wurde nahe gelegt, nicht zu erscheinen. Aus der großes Freiheit zusammen zu arbeiten erwuchs auch ein gewisser Druck und eine Verpflichtung. Während des Schreibens für den Blog haben wir uns der Herausforderung gestellt, gemeinsam an Beiträgen zu schreiben, was sich als größere Herausforderung herausgestellt hat, als angenommen. Am Ende habe ich aus dieser Anstrengung Ergebnisse für mein eigenes Arbeiten mitnehmen können. Künftig werde ich gelassener an Aufgaben herangehen, die wie unüberwindbare Hürden scheinen. Kollektives Arbeiten, über Dinge sprechen, sie gemeinsam zu bearbeiten und zu behandeln, ist eine tolle Herangehensweise. Sie ermöglicht eine bessere Sicht auf die Tatsachen. Das gemeinsame Texteschreiben, selbstständige Entwickeln von Ideen und Diskutieren, hat in vielerlei Hinsicht zum Begreifen der Ausstellung und des Black Mountain Colleges im Allgemeinen beigetragen.
Die Möglichkeit, sich stets alles wieder von neuem anzusehen, die für uns konstant geöffnete Tür des Hamburger Bahnhofs, ermöglichte uns einen anderen Zugang zur Ausstellung. Eine Wiederholung mit stetiger Veränderung, weil der eigene Anspruch und Zugang sich gewandelt hat.
Es stellt sich die Frage, wie man diese offene und trotzdem direkte Form des Zugangs in das künftige Arbeiten übertragen kann. Es bedarf Eigeninitiative, um das praxisnahe Arbeiten weiterhin in seine Studien zu integrieren. Diese Eigeninitiative können wir uns bei den Studenten des Black Mountain Colleges abgucken.
Der “Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart” schenkt der Ausstellung zum Black Mountain College einen Ort, gibt der Seele einen Körper und zeichnet die Konturen eines Bildes. Die Materialien in ihrer Dreidimensionalität und Echtheit scheinen die Grenze zwischen Vergangenheit, Historie und Gegenwart zu überwinden und finden ihren bestimmten Platz in einem bestimmten Raum. Im Zentrum dieses Raumes steht Vielfalt und Interdisziplinarität, verändern sich Grenzen und formen sich Zusammenhänge, immer wieder auf eine neue Art und Weise, lassen sich Teile neu in eine bildende Form modellieren, zersplittern und wieder neu zusammensetzen und in Relation bringen. Gerade die Herangehensweise aus unterschiedlichen Richtungen, die interdisziplinäre Motivation des Colleges, findet in der räumlichen Gestaltung der Ausstellung im Hamburger Bahnhof Fuß. Das architektonische Gewand aus Holz und Wellblech, konstruiert von Raumlabor Berlin prägt die Wahrnehmung und hinterlässt wohl einen der zentralsten Eindrücke in den Köpfen der Besucher. Ecken, Winkel, Wände, Treppen und Plateaus werden speziell für die Ausstellung erschaffen und lassen den Seitenflügel des Hamburger Bahnhofs völlig fern von schon erlebter Ausstellung erscheinen. Vielfalt erkennen wir aber auch im Ausgestellten, was mit dem Verständnis des Black Mountain als interdisziplinäres Experiment voraussehbar war, aber mit dem Besuch der Ausstellung an sich in einer noch gesteigerten Form für uns präsent wird. Dokumente, Fotografien, Kunstwerke, Notenblätter, Keramiken und Musikstücke, Original-Ton und Videodateien werden für das Individuum, den Besucher subjektiv aufbereitet. Doch wie erfolgte die Selektion? Wer traf Entscheidungen und aus welchen Gründen? Sind diese allein ästhetische, künstlerische und inhaltliche? Oder wird die Verwirklichung einer Ausstellung auch vom Pragmatischen, wie Finanzen oder der Verfügbarkeit von Materialien abhängig? Das Seminar bot uns die besondere Möglichkeit des Einblicks in die Arbeitsprozesse des Arbeitsraums “Museum”. Wir hatten während des Seminars die Möglichkeit an einem Montag kurz vor der Eröffnung die sich langsam aufbauende Ausstellung zu besichtigen. Dadurch erhielten wir einen Blick hinter die Kulisse “Museum”. Dadurch erfuhr man das Konzept “Ausstellung” nicht mehr als gesetzten Raum eines Kurators. Wir erfuhren das Museum nicht nur als Erfahrungsraum, als Ort der sinnlichen Wahrnehmung, des Informierens und Aneignens, sondern auch als Raum des Arbeitens. Diese Begegnung war von Beginn an interessant und neu. Unsere Perspektive auf eine Ausstellung im Museum wurde somit stetig erweitert, dem Erfahren auch Konzipieren, Planen, Umsetzen und Gestalten addiert, um letztlich wieder die Erfahrung zu prägen. Wie lassen sich Ort und Ausstellung zusammenbringen, wie verbinden wir Museum als Arbeits-, Begegnungs- und Erfahrungsraum? Wünscht man sich hier mehr Transparenz? Wären bekannte und an anderen Orten angewandte Prinzipien wie beispielsweise Computer zum selbstständigen Forschen im Ausstellungsambiente oder ein Roundtable mit Archivöffnung hier sinnvoll? Manch einer genießt es doch gerade im Museum ein Einzelmensch, für sich und bei sich zu sein, die Kunst autonom zu erfahren und fühlt sich durch erzwungene Kommunikation nur im Prozess der Wahrnehmung gestört. Der Hamburger Bahnhof hat mit der Ausstellung zum Black Mountain College sowohl dem Individuum als auch dem “Gesellschaftsmenschen” hier einen Ort gegeben, an dem man in der Ausstellung ganz bei sich sein kann und wenn Bedarf besteht, sich im grünen, kreisrunden, mit Bänken bestückten Vorplatz vorm Haupteingang in Gespräche über die Rezeption des Gesehenen, des Erlebten zu verwickeln. Die Gegenwart, die hier dem Museum seinen Namen gibt, findet ihren Ursprung in der Vergangenheit und so nutzen wir sie als Mittel, Vergangenes neu zum Leben zu erwecken oder einfach gesagt, uns gegenwärtig für einen Moment mit dem Vergangenen zu beschäftigen. Die Neugier einer Gesellschaft schöpft immer aus dem Alten und fast Vergessenen etwas Neues und Frisches, was wiederum weitere Interessenten anzieht. Diese Eigendynamik hält die Auseinandersetzung mit dem College in Bewegung und bewahrt es vor einer nostalgischen Fixierung im Sinne eines Konservierens.
Ein Artikel von Sophie Boysen, Anna-Maria Fiala, Lena Fiedler, Barbara Przynoga, Christopher Ramm, Henrike Simm
Teilnehmende StudentInnen der Lehrveranstaltung “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” (Sommersemester 2015) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin