MAKING-OF: INTERVIEW MIT EUGEN BLUME

Eugen Blume im Depot des Hamburger Bahnhof - Museum für Gegenwart Berlin mit Robert Rauschenbergs:

Eugen Blume im Depot des Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart Berlin mit Robert Rauschenbergs: Untitled (Black Painting), 1952, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Sammlung Marx.

Eugen Blume ist Leiter des Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin. Gemeinsam mit Gabriele Knapstein kuratiert er jetzt die Ausstellung Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957, (vom 05.06. bis 27.09.2015), die ausschlaggebend für das kollaborative Forschungsprojekt BLACK MOUNTAIN RESEARCH zwischen dem Museum und der Freien Universität Berlin war. Das Black Mountain College wird darin als mögliches Kreativitätsmodell heutiger Schaffens- und Organisationsprozesse begriffen. Im Hinblick auf die interdisziplinären und experimentellen, edukativen Praktiken der Kunsthochschule wird auch deren Integration in aktuelle Ausbildungsmodelle diskutiert.

Verena Kittel von Black Mountain Research hat sich mit Eugen Blume getroffen und ihn zur Ausstellungskonzeption, zur Zusammenarbeit des Hamburger Bahnhofs und der Freien Universität, sowie zu möglichen Impulsen der Ausstellung für die Kunst und Kunstausbildung der Gegenwart befragt.

 

Black Mountain Research: Zwei Werke von Cy Twombly und Robert Rauschenberg dienten als Ausgangspunkt der Ausstellung “Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957”. Warum haben diese beiden Arbeiten Sie dazu verleitet den Fokus der Ausstellung auf das Ausbildungsmodell des Black Mountain College zu legen?

Prof. Dr. Eugen Blume: Zunächst einmal interessiert sich ein Museum für bildende Kunst für die Werke der Künstler und deren Entstehungshintergrund. Es war überraschend, zwei so gegensätzliche Künstler wie Rauschenberg und Twombly am Black Mountain zu finden, was sofort die Frage aufwirft, wie und warum sind sie ausgerechnet in diese Community in der Nähe von Asheville in North Carolina gereist, obwohl die ‘Musik’ eigentlich in New York spielte. Also musste das Institut eine so große Anziehungskraft haben, dass die beiden jungen Künstler sich dahin aufmachten. Rauschenberg, der noch bei Josef Albers studiert hatte, hat Twombly empfohlen und natürlich kannten sie in New York Franz Kline und Jack Tworkow, die später am BMC Malerei gelehrt haben. Robert Motherwell war auch dort und Ben Shahn, bei dem Twombly Unterricht nahm, was aufgrund der Gegensätzlichkeit erstaunt. Die Begegnung zwischen John Cage und Rauschenberg am BMC war für beide Seiten äußerst fruchtbringend. Cage kam durch Rauschenbergs weiße Bilder auf sein radikales Stück 4’33”. Schließlich hat sich der Dichter und letzte Direktor des BMC Charles Olson für Twomblys hieroglyphischen Ansatz interessiert und als erster über ihn geschrieben. Alle diese Begebenheiten weckten die Neugier und letzten Endes war das Institut und sein kosmopolitisches offenes Klima der entscheidende Ausgangspunkt aller dort entstandenen Idee und es wurde immer klarer, dass eine Ausstellung das Ganze in den Blick nehmen musste und nicht nur die künstlerischen Resultate.

BMR: Auf welche notwendigen Auslassungen lässt sich die Ausstellungskonzeption und die kuratorische Idee ein?

EB: Die Vorstellung, den aufregenden Verlauf einer über 30 Jahre existierenden interdisziplinären Institution vollständig nachzuzeichnen, scheitert schon an der Fülle des erhaltenen Archivmaterials und der noch offenen Fragen, die trotz der ausgezeichneten Forschungsarbeit von Mary Emma Harris, immer noch bestehen. Wir mussten uns also zurücknehmen und eher eine erste Skizze versuchen, die gleichwohl alle Felder dieses fächerübergreifenden Instituts berührt. Wir hoffen, dass der geistige und soziale Reichtum und vor allem die demokratische Gesinnung und die Suche nach einer echten Freiheit unter den Bedingungen einer an der Peripherie gelegenen Community sichtbar werden. Wir benötigen ein lebendiges Agens, das die Ausstellung aktivierend durchzieht, das wir zum einen in der Architektur und zum anderen in der performativen Form gefunden haben, die wir mit dem Künstler Arnold Dreyblatt entwickelt haben [Performing the Black Mountain Archive]. Die Zusammenarbeit mit zehn europäischen Hochschulen war auch eine Möglichkeit der Aktualisierung der Geschichte durch die Frage nach der heutigen Befindlichkeit vergleichbarer Einrichtungen.

BMR: Die Ausstellung ist im Rahmen des auf drei Jahre angelegten Kooperationsprojekts Black Mountain Research (2013-2015)” mit der Freien Universität und dem Dahlem Humanities Center entstanden. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Freien Universität und dem Dahlem Humanities Center?

EB: Die Kooperation resultiert aus einem Gespräch mit Annette Jael Lehmann, die die Verbindung zwischen ihrem Institut und den Museen suchte und wir ihr vorgeschlagen haben, diese wichtige Annäherung im Rahmen unserer geplanten Ausstellung beginnen zu lassen. Idealer ging es nicht. Wir sind zwei unterschiedliche Bildungseinrichtungen, die von der Aktualisierung einer historischen und dennoch modellhaft gebliebenen Praxis profitieren können. Dieser gemeinsame Gegenstand richtet kritische Fragen an beide Einrichtungen. Sich diesen Fragen gemeinsam diskursiv zu stellen, schien vielversprechend. Das von der FU konzipierte Eingangssymposium und das geplante Abschlusscolloquium sind dabei wichtige Elemente des gesamten Unternehmens, die dessen politische Dimension sichtbar werden lassen. Dass das BMC-Projekt Thema des Unterrichts an der FU ist, unterstützt aktiv den Wunsch der Kuratoren, möglichst viele junge Menschen zu involvieren. Man kann die Zusammenarbeit zwischen der Freien Universität und unserem Hause als einen erfolgreichen Beginn beurteilen, der hoffentlich fortgesetzt werden kann. In der Zusammenarbeit zwischen der universitären Forschung und der musealen Praxis gibt es allgemein empfindliche Defizite, deren Überwindung in diesem Projekt einen ersten Impuls erfährt.

BMR: In welcher Form könnte diese spannende Zusammenarbeit nach Ausstellungsende fortgeführt werden?

EB: Man könnte gemeinsam natürlich andere Themen in ähnlicher Weise angehen. Man könnte auch das Thema Bildung in den Blick nehmen und fragen, ob es nicht eine engere, fruchtbarere Annäherung von Universität und Museum auf dem Gebiet der Bildungsarbeit geben könnte. Joseph Beuys hat einmal, gefragt, was Museen für ihn seien, geantwortet: Universitäten mit Objekten. Hier könnte man anknüpfen und ein gemeinsames Projekt entwerfen, das die bisherigen Grenzen überschreitet.

BMR: Die Ausstellungsarchitektur wurde von raumlaborberlin entworfen. Wie kam es zur Zusammenarbeit mit dem Berliner Architekturbüro?

EB: Wir haben einen Architekturwettbewerb ausgelobt und fünf Büros eingeladen. Raumlaborberlin, die als Gruppe arbeiten und sich in vielen sozialen Projekten engagieren, haben aus der eigenen Praxis heraus eine besondere Nähe zum BMC verspürt und aus unserer Sicht eine kongeniale Architektur entworfen. In Zusammenarbeit mit den Gestaltern cyan, die Katalog und alle Drucksachen bis hin zu den Wandbeschriftungen erarbeitet haben, ergab sich ein homogenes Gestaltbild, was der Ausstellung sehr gut ansteht. Architektur und Katalog greifen sozusagen Hand in Hand.

BMR: Was wäre der wichtigste Impuls für die edukativen Praktiken und Probleme an Kunsthochschulen und Universitäten, der von Black Mountain aktuell ausgehen könnte?

EB: Die Frage ist nicht leicht zu beantworten, weil sie sehr komplex ist. Vor allem wäre die Frage nach der gegenwärtigen Ökonomisierung und Verschulung der höheren Bildungsanstalten zu stellen, die an zum Teil unsinnigen Vorgaben und Bedingungen zu ersticken drohen. Das BMC war im Sinne Derridas eine unbedingte Universität, die sich ihre Bedingungen aus einer permanenten Diskussion heraus selbst erarbeitet und die vor allem die Gelder mühevoll selbst aufgetrieben hat, ohne sich vom Staat alimentieren zu lassen. Das Regelwerk einer lähmenden Bürokratie wollte man zugunsten der Demokratie fern halten und hat dafür echte Durststrecken in Kauf genommen und ist letzten Endes an der eigenen Kompromisslosigkeit gescheitert. Aber auch dieses Scheitern ist ein qualitatives Merkmal von Black Mountain. Das Risiko zu scheitern erhöht die Aufmerksamkeit und führt in neue Modelle einer anderen Praxis. Nun kann man heute kein BMC neu gründen, weil die Bedingungen völlig andere sind, aber man kann sich an der gelungenen Praxis, deren Erfolg nicht zuletzt durch Namen und Werke bewiesen ist, ein Beispiel nehmen. Die Frage wäre, wie komme ich zu mehr Freiheit und Demokratie im Sinne dieser gelebten Community, deren Gründer John Andrew Rice gefordert hat, ein demokratischer Mensch muss ein Künstler sein.

BMR: Welche Wirkungen erhoffen Sie sich von der Ausstellung für die Kunst der Gegenwart?

EB: Ich hoffe, dass sehr viele junge Künstler und Kunststudenten sich mit dem Phänomen Black Mountain vertraut machen wollen. Es gibt gewisse inflationäre Tendenzen in der zeitgenössischen Kunstproduktion, die sich eher im Kreis bewegen, als produktiv an dem sich dramatisch zuspitzenden politischen Geschehen dieser Welt teilzunehmen. Mir leuchtet der interdisziplinäre Bildungswille ein, der am BMC herrschte. Die Studenten und Lehrer forderten die wichtigsten Köpfe der Zeit auf, ihnen ihre Ideen am BMC vorzutragen, um den Verlauf etwa des Weltkrieges, die Wurzeln des Rassismus, die Herkunft des Menschen, die Kraft der Bilder und des Wortes zu verstehen. Noch in den späteren Interviews mit ehemaligen Lehrern und Schülern, die wir in der Ausstellung zeigen, klingt diese umfassende, im wahrsten Sinne des Wortes, Ausbildung nach. Mit diesen Persönlichkeiten musste man in der Gesellschaft rechnen. Sie suchten nicht ihren Vorteil und materiellen Wohlstand, sondern die geistige Auseinandersetzung.