Performing the Dinner

Sie wirkt wie eine eingeschworene Tischgemeinde, diese Gruppe von Leuten, die sich da im Hamburger Bahnhof versammelt hat. Es ist Samstag der 27. Juni gegen halb drei als “The Dinner” beginnt. Eine Tischplatte aus Pappe auf den Knien balancierend, sitzen sich etwa 16 Menschen gegenüber, während ein weiß behandschuhter Mann nach den Vorgaben eines undurchschaubaren Ablaufplans Gegenstände verteilt und Vorgänge anleitet. Alle 16 sind ausgezeichnet durch ein kleines weißes Stoffzeichen, das sie am Körper tragen, alle an einer anderen Stelle, dennoch ein Merkmal von Zusammengehörigkeit. Es ist gegen halb 3 , viel zu früh für ein herkömmliches Dinner, das weiße Tischtuch fehlt, der behandschuhte Butler bringt anstelle von Speisen und Getränken nur Papier, ein Ei (vielleicht das berühmte Eis des Kolumbus?), Scheren, Fäden und pink leuchtendes Klebeband auf den Papptisch. Die Tischkonstruktion zwingt die Teilnehmer zu gemeinsamen Bewegungen und unbedingten Absprachen. Selber kann man sich nicht vom Tisch erheben, dazu bedarf es der Assistenz des Butlers. Beisammen sitzen, reden, nur es wird nicht geredet, nur vorgetragen und das in einer klaren Reihenfolge. Die Absurdität der Handlungsfolgen, die mit einer Selbstverständlichkeit ausgeführt werden, erinnert an ein anderes berühmtes Dinner; das der alten Sophie, die Jahr für Jahr ihren Geburtstag mit dem Butler James verbringt.
Ein Dinner ist streng ritualisiert, selbstorganisiert und folgt einem klaren Ablauf. Im Black Mountain College versammelten sich Menschen, die miteinander arbeiten, aber auch leben wollten. Ein Dinner im Black Mountain College war genauso Diskussion und Präsentation. Ein Internat, in das die Schüler freiwillig gingen, um zusammen zu arbeiten. Die Performance machte genau diesen Punkt des gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens stark. Wie bildet man das Gemeinschaftswerk “Black Mountain College” in seiner sozialen Funktion ab? Eine Herangehensweise über die Kunstwerke der einzelnen Künstler lässt vergessen, dass hinter den Werken gemeinschaftliche Arbeitsprozesse gestanden haben, die sich vielleicht nicht erkennbar in die Werke einschrieben, aber dennoch den Nährboden gebildet haben. Die Performance der HfBK-Studenten aus Dresden hat versucht das künstlerische Schaffen in seiner gemeinschaftlichen Perspektive abzubilden. In diesen Zusammenhang passt sich die Szene, als Performer anfingen mit Wollfäden einzelne Teilnehmer mit Stühlen, und anderen Teilnehmern und dem Tisch zu verbinden, ein. Am Ende nahmen sie die Scheren, um sich wieder zu befreien und wickelten pinkes Klebeband um den Tisch, der im Ausstellungraum zurückblieb. Wieder ein Relikt der Dokumentation von Arbeit.

(Lena)

The Dinner, eine kurze kulturhistorische Reflexion

Eine Tischgesellschaft zu bilden, bei der sich mehrere Teilnehmende auf Stühlen sitzend um die erhöhte Tafel versammeln, ist als Ausübung einer kulturellen Praxis zu verstehen, die tief in der westlichen Welt verwurzelt ist. So dienen in anderen Kulturkreisen beispielsweise Teppiche als jene Plätze, an denen Nahrung verzehrt wird (1), oder es wird am Boden gegessen. Im europäischen wie auch amerikanischen Raum ist ein Tisch im Normalfall relativ hoch und wird in der Innenarchitektur als sogenanntes Brückenmöbelstück bezeichnet. (2) Damit ist seine Konstruktion als eine beschrieben, die keinen bestimmten Raum von einem anderen abgrenzt, sondern diesen umspannt und dabei Verbindungen herstellen kann. In der, im Hamburger Bahnhof stattfindenden Performance „the Dinner“, findet sich diese historische Tatsache sabotiert, indem sich der Aufbau des Tisches auf den Gästen des Dinners findet.
Auf Stühlen sitzend lagert das Gewicht einer hohen Tischplatte in den Schößen der Einzelnen. Der menschliche Pulsrhythmus ist das sich bewegende Element, das hier einzig den Tisch trägt und damit die Bedingungen der Möglichkeit strukturiert, welchen Handlungsspielraum die einzelnen Teilnehmenden individuell für sich in Anspruch nehmen können. In Bezug auf Black Mountain ist die Tischszene zuerst als Referenz auf die Worte John Cages’ zu lesen, der seinen Studierenden stets zu den Mahlzeiten für Gespräche zur Verfügung zu stehen pflegte, während er in der Kantine aß. Die Lebensweise eines parallelen Miteinanders und die gegenseitige Beeinflussung sowohl der ästhetischen Haltung wie auch der Einfluss auf seine Musik, war für Cage auch abseits des kleinen Orts in North Carolina von Bedeutung: In New York bewohnte er ein selbst ausgebautes Atelier an der Monroe/Ecke Grand Street, eine Etage über Merce Cunningham. Zeitweise lebten im selben Haus weitere befreundete Künstler, so wie Jaspar Johns, Philip Guston, Willem de Kooning und Robert Rauschenberg. (3) Sie verbanden die Aufmerksamkeit für Neuerungen, die sich unter anderem als Forderungen an die Anerkennung der Verbindungen der einzelnen Künste und die Verwendung der Möglichkeiten der noch jungen technischen Medien richtete. Diese Haltung führte Cage als Lehrer an die von László Moholy-Nagy in Chicago geleitete New School of Design, und nicht zuletzt auch für einige Sommer in den frühen 1950er-Jahren an das Black Mountain College unter der damaligen Leitung des Bauhaus-Künsters Josef Albers.

Der Tisch : ist Instrument, und die, in dieser Performance stattfindende Manipulation seiner Konstruktion führt auch zu anderen Gedanken Cages. Er stellte ähnliches in der Frage nach dem Orchester zur Diskussion, indem er die Vielfalt der Instrumente kritisierte. Cage stellte sich gegen die Rückwärtsgewandtheit seiner Zeit, er experimentierte an der Entwicklung neuer Klangkörper und zeigte so die Unmöglichkeit auf, im Rahmen der bereits alten Instrumente die ‚neue Musik‘ einem Publikum zu Ohren zu bringen.
Indem die Studierenden heute die historisch vorgefundene Situation der Anordnung um den Tisch aufnehmen und sie zu einer Unterordnung unter die physischen Bedingungen des entstehenden Raumes machen, ist diese Anordnung der Gruppe als erneute Verhandlung des demokratischen Gedankens zu lesen. Die Abhängigkeit voneinander stellt sich dadurch deutlich heraus, dass es dem Einzelnen nicht möglich ist, ohne die Hilfe des Butlers die Sitzgruppe zu verlassen, ebenso verweist die derart entstandene Konstellation auch auf die Voraussetzungen gemeinsamer Arbeit.
Die physische Lokalisierung im konkreten Raum wird gleichermaßen wie die Notwendigkeit des interdisziplinären Austauschs durch das Zusammenkommen heterogener Interessen in der räumlichen Situation der Performance zum Thema. Wie entwickelt sich das Neue auf der Basis des Alten?

Und nicht zuletzt greift die Performance auf, wie die Bedeutung eines Ortes, eines Gegenstands von seinen Zuschreibungen geprägt und fortwährend umgeformt wird. Der Tisch wird zu Ende des Dinners umwickelt mit einem fleischfarbenen Band und zu Boden gelegt, verwandelt in einen Geburtskanal: in der Erinnerung an die Bedeutsamkeit von Black Mountain drängt sich diese Metapher zumindest auf.
So ist auch zuvor mit der Verfestigung der Beine unter dem Tisch eine Prägung angedeutet, die Cage beschrieb. Er stellte fest: „man war genauso noch in [Black Mountain], nachdem man es verlassen hatte, wie zu der Zeit, als man tatsächlich dort war.“ (4)

(Anna)

1 Dieses Beispiel belangt besonders verschiedene nomadische Kulturen.
2 Vgl.: http://www.möbellexikon.com/t/tische.html
3 Vgl.: „Dear Pierre“ „Cher John“ Pierre Boulez und John Cage, der Briefwechsel. Herausgegeben
von Jean-Jaques Nattiez, aus dem Englischen und Französischen übersetzt von Bettina Schäfer
und Katharina Matthews, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1997, S. 15.
4 Zit.n. Mary Emma Harris: „Black Mountain College“, in: Christous M. Joachimides und Norman
Rosenthal: Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert, Malerei und Plastik 1913-1993, München:
Prestel 1993, S. 117-124.

Ein Artikel von Lena Fiedler und Anna-Maria Fiala

Teilnehmende Studentinnen der Lehrveranstaltung “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” (Sommersemester 2015) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin