Einflüsse der Bauhausbühne auf die Bühne am Black Mountain College

Mr. Barr is absolutely right. The Bauhaus does live today. It has a message for America and for the future. But that message (or am I as absolutely wrong?) is not in clear, exact and challenging terms relayed. (1)(2)

Mr. Jewell, Autor der New York Times, kritisiert in seiner Rezension zur ersten Bauhaus-Retrospektive in den USA “Bauhaus 1919-1928” im New Yorker Museum of Modern Art (1938/39) die Installation der Ausstellungsräume. Er moniert die ausufernde Inszenierung der Räume, die zum Beispiel auch den Fußboden mit geometrischen Mustern umfasst, als chaotisch und dass es dieser dadurch nicht gelinge, die Bauhausidee klar weiterzugeben. Dem ist aus der historischen Distanz heraus entgegenzuhalten, dass es gerade diese Offenheit war, die eine Transformation der Bauhausideen in den amerikanischen Kontext erleichterte und die wiederum zu neuen Entwicklungen anregte. Dieser Ideentransfer wird am Beispiel der Theaterexperimente des ehemaligen Bauhäuslers Xanti Schawinsky beleuchtet, der sowohl am Bauhaus in Dessau als auch nach seiner Emigration 1936 in die USA an der Kunsthochschule Black Mountain College die Bühne leitete. Unter der Prämisse, dass die Schriften, Arbeiten und Methoden, die am Bauhaus entstehen, zu divers sind, als dass sie auf einen Kern heruntergebrochen werden können, werden zuerst verschiedene Berührungspunkte in der amerikanischen Bauhausrezeption aufgezeigt. In einem zweiten Schritt werden die Bühnenexperimente Xanti Schawinskys vorgestellt, die er zwischen 1936 und 38 als Dozent am Black Mountain College durchführte. Insbesondere seine Methode des Spectodramas ist geeignet, um zum einen den Transfer von Ideen und Methoden der Bauhausbühne zu erläutern und zum anderen erste Abweichungen festzustellen, die bereits auf die Entwicklung eines neuen Bühnengenres am Black Mountain College hindeuten, das Happening.

Kultureller Kontext: Rezeption der Bauhausideen in den USA
Der Transfer von Ideen des Bauhauses (1919-1933) in den US-amerikanischen Kunstkontext erfolgt neben internationalen Ausstellungen und Publikationen durch den direkten Kontakt mit Bauhäuslern. Bereits während des Bestehens des Bauhauses organisiert der Wiener Architekt Friedrich Kiesler die “Internationale Theaterausstellung” 1926 in New York, durch die amerikanische Künstler zum ersten Mal mit der europäischen Theater-Avantgarde in Kontakt kommen. Der Einfluss auf die amerikanische Kunst ist in dieser Zeit zunächst gering, da in den USA bis in die 30er Jahre weder von einer unabhängigen Kunstszene noch von einem Kunstverständnis für moderne Ideen und Theorien gesprochen werden kann. Verstärkt durch die schlechte wirtschaftliche Situation der Großen Depression in den 30er Jahren weist die Kunst ästhetisch konservative, traditionelle und provinzielle Tendenzen auf. Erst ab Mitte der 40er Jahre entwickelt die amerikanische Kunstszene eigenständige künstlerische Positionenen – unter anderem durch den Einfluss der Bauhausideen, die kontinuierlich in Ausstellungen gezeigt werden. (3)

Allein die Entwürfe und Arbeiten, die an der Bühne des Bauhauses entstanden, sind bis in die 40er Jahre in mehr als sieben nationalen Ausstellungen zu entdecken. Zahlreiche Publikationen wie Ausstellungskataloge, Artikel und Zeitungen in Fachzeitschriften sorgen ab Mitte der 20er bis Anfang der 50er Jahre für eine zusätzliche Verbreitung der Ideen der Bauhausbühne. Der erste bühnenspezifische Artikel über das Bauhaus, den die Zeitschrift “Theatre Arts” 1931 veröffentlicht, hebt folgende Ideen für den amerikanischen Kontext hervor: das Gemeinschaftsleben, das Experimentieren, die Synthese von Theorie und Praxis, Improvisationen, die Verbindung zur bildenden Kunst und die Präsentationen auf Aufführungen und Festen (4). Insgesamt liegt dabei der Fokus stark auf den Ausbildungskonzepten, insbesondere auf der im Vorkurs angestrebten Verbindung von subjektiver Erfahrung und objektivem Erkennen. Die experimentellen Methoden im Vorkurs stehen den Methoden des amerikanischen Philosophen John Deweys nahe, der in seiner Kunsterziehungstheorie dazu auffordert, die Studierenden miteinzubeziehen und sich für ein ‘learning by doing’ engangiert. Diese theoretische Nähe ermöglicht es ehemaligen Bauhäuslern an Bildungsinstitutionen zu unterrichten sowie selbst künstlerische Institutionen zu gründen, um dort als Multiplikatoren zu wirken. Allein am Black Mountain College und am New Bauhaus in Chicago (gegründet 1937, heute Institute of Design) unterrichten zeitweise je bis zu 30 ehemalige Bauhäusler und belegen die große amerikanische Akzeptanz. Anhand der beiden gerade erwähnten Institutionen lässt sich auf eine eigene Entwicklung in den USA verweisen. Die am Bauhaus praktizierte Verbindung von freier und angewandter Kunst wurde nicht übernommen. So kam es zur institutionellen Spaltung von Kunst und Design: während am Black Mountain eine autonome Kunst gefordert wurde und das College retrospektiv zum “Symbol für akademische Freiheit und experimentellen Geist” (5) wurde, entwickelte sich das spätere Institute of Design zur Schule für industrielles Design und Fotographie.

Beispiel: Xanti Schawinskys Spectodrama am Black Mountain College
Im Theaterbereich stellen die Experimente des ehemaligen Bauhäuslers Xanti Schawinsky am Black Mountain College in den Jahren 1936 bis 1938 die einzige Weiterentwicklung der Visionen der Bauhausbühne in Amerika dar. Ähnlich dem Bauhaus nimmt die Bühne am College eine besondere Position ein. Aus dem Curriculum geht hervor, dass ihr ein zentraler Stellenwert als Experimentierort für intellektuelle Theorien zugeschrieben wird. In den ersten Jahren (1933-36) werden jedoch keine gravierenden Bühnenreformen forciert. Robert Wunsch, Mitgründer des Colleges, inszeniert mit den Studierenden hauptsächlich dramatische Texte und organisiert Kostümfeste sowie Cabarets und magische Dia- und Puppenspiele. Eine neue Phase beginnt 1936. In diesem Jahr wird Xanti Schawinsky von Josef Albers, dem Leiter des Black Mountain und früheren Bauhäuslers an das College gerufen und unterrichtet dort bis 1938 die Fächer Zeichnen und Bühne. Mit der Berufung von Schawinsky stärkt Albers die experimentelle Atmosphäre am College. Schawinskys Arbeit etabliert eine Interaktion zwischen visueller, auditiver und darstellender Kunst und den Wissenschaften. Im Zentrum steht ein offenes, prozessorientiertes Arbeiten, das zu diesem Zeitpunkt revolutionär ist. Schawinsky arbeitet dabei im Sinne Albers, dem es weniger darum geht, was Kunst ist, sondern darum, wie sie vollzogen wird: “Art is concerned with the HOW and not the WHAT; not with the literal content, but with the performance of the factual content. The performance – how it is done – that is the content of art.” (6)

Am Black Mountain erhält Schawinsky die Möglichkeit, seine Entwürfe, die er bereits am Bauhaus erarbeitet hat, weiterzuführen. Darüberhinaus übernimmt er dessen Lehrmethoden. Die Bühne ist für Schawinsky ein Ort, an dem die Studierenden durch interdisziplinäres Experimentieren ganzheitlich gebildet werden können. In der Gruppe sollen die sonst getrennten Bereiche Kunst und Wissenschaft verbunden werden, indem die Teilnehmer ein Thema untersuchen, es demonstrieren und anschließend dramatisieren. Sein Fach nennt er stage studies und bietet es vier Stunden wöchentlich an. Den rund 30 teilnehmenden Studierenden stellt er seine räumlichen Ideen vor, die er am Bauhaus entwickelt hat. Den stage studies liegt Schawinskys pädagogisches Konzept des Spectodramas zugrunde. Spectodrama meint eine abstrakte choreographisch aufgebaute Szenographie, bei der die Tänzer sich zu einfachen Formelementen verhalten, wie etwa farbige Dreiecke, Kuben, Rundscheiben, Bänder aus verschiedenen Materialien. Zuerst entscheidet sich die Gruppe für ein Thema der infrage kommenden Phänomene der elementaren theatralischen Mittel Raum, Form, Farbe, Licht, Klang, Sprache, Bewegung, aber auch abstrakterer Phänomene wie Zeit, Bauen und Illusion. Experten zu dem gewählten Thema halten einleitende Referate, um auf die verschiedenen Aspekte hinzuweisen. Im Anschluss daran erarbeiten kleinere Gruppen ihre Sichtweise auf die Thematik und führen eine erste Inszenierung vor. Diese wird von den anderen Teilnehmern kritisiert und in einer sofortigen Improvisation verändert. Dabei ist das Ziel, das gewählte Thema in der Bühnenfassung möglichst umfassend zu bearbeiten. Im Anschluss werden die Endfassungen aller Themen zu einem Stück gebündelt, das aufgeführt wird. Typisch für die Spectodrama-Szenen sind tänzerisch-pantomimische Akteure, die vor einer schwarz ausgeschlagenen Bühne erscheinen und sich zu verschiedenen Formen und Materialien verhalten.

Xanti Schawinsky, Spectodrama, Teil 4, Szene 1. Materialdemonstration. 1924-1937, ca. 40x51 cm, Foto auf belichtetem Fotopapier, Nachlass Schawinsky.

Xanti Schawinsky, Spectodrama, Teil 4, Szene 1. Materialdemonstration. 1924-1937, ca. 40×51 cm,  Foto auf belichtetem Fotopapier, Nachlass Schawinsky.

Hinzu kommen technische Mittel wie Film und Projektionen und Rezitationen, Dialoge oder wissenschaftliche Erläuterungen. Die Szenen veröffentlicht Schawinsky später, 1950, im Manuskript “Spectodrama. Play, Life, Illusion”. Die Farbigkeit der Szenen lässt sich im Vergleich mit seinen Entwürfen erahnen. Im Mittelpunkt steht jedoch nicht die Wirkung auf den Zuschauer, sondern der Erfahrungsgewinn für die beteiligten Studierenden. Schawinskys Konzeption ist vorrangig eine pädagogische Methode, mit der alle elementaren theatralen Mittel experimentell untersucht werden sollen. Es lassen sich neben der Weiterentwicklung seiner ersten eigenen Entwürfe zu Spectodrama und Übernahme einiger Elemente aus seinen eigenen Bauhausarbeiten wie “Circus” von 1924 diverse Rückgriffe auf das Bauhaus und die Bauhausbühne ausmachen. Schawinskys Zukunftsvisionen für ein Theater greifen auf allgemeine Methoden zurück, die am Bauhaus angewendet wurden, Walter Gropius’ Vision eines Totaltheaters, Oskar Schlemmers Reformvorstellungen zum Verhältnis von Mensch und Raum sowie Elemente aus dem Bauhausbühnenrepertoire.

Historische Vorläufer: die Bauhausbühne (1921-1933)
Walter Gropius, der das Bauhaus 1919 gründet, fordert in seinem Manifest die Synthese der Künste und die Verbindung von Kunst und Leben. Im Curriculum des Bauhauses schlägt sich diese Forderung nach einer ganzheitlichen Ausbildung in der Kombination aus handwerklichem und künstlerischem Unterricht nieder sowie einem einführenden Propädeutikum, das alle Studierenden vor einer Spezialisierung absolvieren, den Vorkurs. 1921 gründet Gropius die Bauhausbühne, an der vor allem die Basisphänomene Raum, Körper, Bewegung, Ton, Musik, Licht und Farbe auf ihre Gesetzmäßigkeiten hin untersucht werden sollen. Die Bauhausbühne ist eine der Werkstätten am Bauhaus und besteht aus zwei Unterabteilungen. Der handwerklich-technische Teil wird in der Bühnenwerkstatt gelehrt, der darstellerische auf der Versuchsbühne. Die Bauhausbühne ist ein Ort, an dem die Verbindung von Kunst und Leben, die Synthese der Künste, neue Technologien und die Herstellung einer modernen Umwelt für den neuen Menschen wie in einem kleinen Labor ausprobiert werden können. An der Bühne entstehen unter anderem Projekte, die mit Improvisationen und Satire arbeiten. Beispiele dafür sind das Marionetten- und Maschinentheater, Lichtreflektorenspiele und die Kostümfeste am Bauhaus. In den heterogenen Arbeiten finden sich Einflüsse des Dada, der amerikanischen Komödien (Chaplin), Marionetten von Täuber und Lissitzky, den Ballets Russes, Ausdruckstanz und der Pantomime.

Walter Gropius’ Entwurf eines “Totaltheaters” (1927)
Gropius’ erstes Hauptanliegen besteht darin, Kunst und moderne Technologie so zu verbinden, dass das künstlerische Individuum in das Gemeinschaftsleben einbezogen wird. Sein zweites Hauptanliegen ist die Erforschung des Raumes, die er theoretisch anhand der Theaterbühne unternimmt. Seine Vorstellungen von Architektur und Theater konkretisiert er 1927 in seinem Entwurf des “Totaltheaters” für den Theaterregisseur Erwin Piscator. Der Zuschauerraum umfasst 2000 Sitzplätze, die wie in einem Amphitheater angeordnet sind. Die Bühne bot drei Modi, zwischen denen auch während der Aufführung gewechselt werden konnte: die Arenabühne, die Proszeniumsbühne und eine dreistufige Tiefenbühne. Die Arenabühne sollte durch Projektionsschirme ergänzt werden, die hinter den Zuschauern und über den Zuschauern aufgespannt werden sollten. Ein Umgang hinter dem Zuschauerraum und die Auftrittsmöglichkeit über der Decke kamen hinzu. Die Besonderheit seines Entwurfs ist die räumliche Einbeziehung des Publikums durch eine architektonische Verbindung von Theater- und Zuschauerraum, die den Zuschauer aus seiner Passivität heraus mitten ins Geschehen einer imaginären Welt rücken soll. Ein weiteres Ziel ist die maximale Flexibilität des Bühnenraums durch die Synthese von moderner Technik und Kunst, die dadurch auch den Einbezug anderer Medien erlaubt, wie etwa Filmprojektionen. Aus finanziellen Gründen kommt dieser Entwurf nicht über den Modellstatus hinaus.

Oskar Schlemmer (1888-1943): Mensch und Raum
Schlemmer legte den Fokus seiner theoretischen und praktischen Arbeit auf das Verhältnis von Mensch und Raum als zentrales theatralisches Mittel. Er versucht die formalen Bühnenelemente Raum, Form, Farbe, Licht und Materie in ihrem Verhältnis zum sich bewegenden Menschen systematisch-wissenschaftlich zu erforschen. Ausgangspunkt waren für ihn die dem menschlichen Körper zugrunde liegenden Form- und Bewegungsstrukturen, die er im Raum choreographisch inszenierte. Neu war an Schlemmers Ansatz, dass er Theater als Raumproblem verstand, aus deren Konsequenz sich ergab, dass Bewegung nur eines der theatralen Mittel darstellte und ihnen nicht übergeordnet war. Dabei lag dieser Idee nicht die Vorstellung eines natürlichen, vorgefundenen Raums zugrunde. Stattdessen ging Schlemmer von einem Raum aus, der nach bestimmten Gesetzen konstruiert und gestaltet ist. Schlemmer konzipiert seine Bühne als vorrangig non-verbal, die die visuellen Aspekte betont und in Richtung eine neuen Genres verweist, das “Abstraktes Theater”. Mit Hilfe von Reduktion, Abstraktion und Typisierung sucht Schlemmer nach den Grundformen des Theaters. Analog zu einer Gliederpuppe zerlegt er den menschlichen Körper in Grundformen. In seinem grundlegenden bühnentheoretischen Aufsatz “Mensch und Kunstfigur” nimmt er eine Umwandlung und Unterteilung des Körpers in vier Typen vor. Dort finden sich auch seine Überlegungen zu einer abstrakten Bühne, auf der der menschliche Körper der Bewegungsmechanik gehorcht und der organische Mensch den seelischen Affekten. Dabei folgt der Tänzer beiden Gesetzen: denen des Körpers und denen des Raums. Zur Entindividualisierung der Schauspieler nutzt Schlemmer Masken und Trikots. Ausgehend von diesen Überlegungen enstehen das “Triadische Ballett”, das 1922 in Stuttgart uraufgeführt wird und verschiedene Bauhaustänze, wie “Formen-, Glieder- und Maskentanz”.

Xanti Schawinskys Bühnenversuche am Bauhaus
Xanti Schawinsky ist von 1924 bis 29 Student an der Bauhausbühne und gegen Ende seines Studiums Schlemmers Assistent und leitet die Bühnenbild-Abteilung. Zusammen mit anderen Kommilitonen entwickelt er in dieser Zeit kurze Stücke, in denen sie Elemente aus dem visuellen Theater, Tanz, Pantomime und Komödie kombinieren. In diesen Nummern arbeiten sie mit Improvisationsmethoden und Absurdität. Ihre Stücke zeigen simultane Handlungen und versuchen so, die lineare Raum-Zeit-Logik aufzuheben. Schawinsky entwickelt in den Jahren 1924 bis 1928 eine Reihe von Projekten, von denen die Entwürfe zu den Kostümen, mechanischen Bühnenelementen und Bühnenräumen erhalten sind. Drei von diesen Arbeiten realisiert Schawinskys auch. Die erste Arbeit “Circus” entsteht 1924 anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Bauhauses in Weimar.

Xanti Schawinsky, Bühnen- und Kostümentwurf zu „Circus" Szene „Dompteur und Untier", 1924, 34,2 x 50,1 cm, Tempera, Tusche und Bleistift auf Papier, Bauhaus-Archiv, Berlin Inv.-Nr. 3892.

Xanti Schawinsky, Bühnen- und Kostümentwurf zu „Circus” Szene „Dompteur und Untier”, 1924, 34,2 x 50,1 cm, Tempera, Tusche und Bleistift auf Papier, Bauhaus-Archiv, Berlin Inv.-Nr. 3892.

Die beiden anderen Stücke entstehen für den Faschingsball am Bauhaus: “Feminin Repetition” für den Ball “Das weiße Fest” 1926 und zwei Jahre später “Olga, Olga”. Schawinsky verwendet in diesen Sketchen tänzerische und pantomimische Mittel sowie mechanische Elemente, dazu wurde Musik vom Grammophon oder Lifemusik gespielt. Bei “Circus” werden Menschen und Tiere ganz oder teilweise durch Flachfiguren ersetzt. “Circus” besteht aus kleinen aneinandergereihten Einzelszenen, in denen mit Menschen, Masken und Figuren improvisiert wird: eine Tänzerin bewegt sich auf einem Flachfigurenpferd während ein Dompteur in einem Rundplastikkostüm versucht, eine löwenähnliche Flachfigur in Schach zu halten. Auffällig ist der Gegensatz von Natürlichem und Künstlichem in der Figur des Dompteurs. Während das eine Bein aus einem zylindrisch zulaufenden Kubus besteht, der die natürliche Bewegungsfreiheit stark einschränkt, erscheint das nackte Bein vom menschlichen Körper abgetrennt. Der ganze Körper ist auf geometrische Grundformen reduziert und in Segmente unterteilt. In dieser Zeit zeichnet er die ersten Entwürfe für sein Spectodrama. In diesen Zeichnungen sind farbige geometrische Grundformen vor einem schwarzen Hintergrund zu sehen.

Vergleich: historische Einflüsse der Bauhausbühne in Schawinskys Spectodrama
In Schawinskys Methode Spectodrama erforschen die Teilnehmenden die Grundelemente der Bühne analog zu Schlemmers Vorgehen an der Bauhausbühne mit vorrangig visuellen Mitteln. Dabei übernimmt Schawinsky auch die Enthierarchisierung von Mensch und Objekt und die Abstraktion. In den Spectodrama-Szenen finden sich Teile aus dem Bauhausbühnenrepertoire wie Schlemmers Kulissentanz und Maskenchor. Aus seiner eigenen Arbeit “Circus” überträgt Schawinsky die Parallelaktionen und den simultanen Einsatz von Medien. Die schon bei Gropius’ “Totaltheater” angelegte Medienkombination zur Aktivierung des Zuschauers steigert Schawinsky bis zur Wahrnehmungsirritation. Die unabgeschlossenen Szenen und dieser simultane Einsatz von ‘mixed-media’ wie Bewegung, Licht, Projektion, Sprache, Geräusche, Musik und Objekte sollen vom Zuschauer selbst zu einer logischen Einheit zusammengeführt werden. Eine weitere kleine Parallele setzt Schawinsky dadurch, dass er die Darsteller mit Masken spielen lässt, ein Verfahren, dass sich an der Bauhausbühne zur Entindividualisierung der Darsteller findet. Hier ist jedoch eine erste Unterscheidung zu treffen: während Schlemmer das Verfahren nutzt, um Menschentypen zu entwerfen, setzt Schawinsky Masken als pädagogisches Mittel ein, um seinen Studierenden, die zumeist semi-professionelle Schauspieler sind, das Auftreten auf der Bühne zu erleichtern. Daran schließen sich weitere Unterschiede an. Konzipiert Schawinsky das Stück “Circus” im Alleingang, so wird Spectodrama – wenn auch unter starker Konturgebung durch Schawinsky selbst – mit den Studierenden erarbeitet. Hier zeigen sich Praktiken der Partizipation und Mitverantwortung von Schauspielern, die Schawinsky erst später in seinem Artikel “From the Bauhaus to Black Mountain” verschriftlicht:

If an actor was included, he would move in awareness of the laws of space, here expressing reality, there projecting an illusion. A question arose: By which process would he achieve this awareness? Should he not be an active participant in the formulation of these laws, moreover independent in his very own concept? (7)

Darüberhinaus ist ein weiteres wichtiges Merkmal die Improvisation auf der Bühne. Mit dieser offenen und unabgeschlossenen Arbeitsweise wird der kreative Prozess Teil der Arbeit, eine Praktik, die zu einem Merkmal der später entstehenden Performance Art wird.

Eine letzte Anwendung erfährt Schawinskys Konzeption in der Arbeit “The Danse Macabre”, die seine Studierenden 1938 erarbeiten. Nach dieser Arbeit findet keine direkte Weiterführung statt. Auch verbleibt die Auswirkung von Schawinskys Produktionen fast ausschließlich im institutionellen Bereich der Colleges und Museen. Jedoch ist Schawinksys Wirken am Black Mountain eine interdisziplinäre Öffnung des Colleges und eine experimentier- und improvisationsfreudige Atmosphäre zu verdanken, die die Schule zu einem künstlerisch attraktiven Ort gemacht haben. In diesem Umfeld entwirft John Cage 1952 “Theatre Piece n° 1”, das als erstes Happening in die Kunstgeschichtsschreibung eingeht. Merkmale des Happening wie veränderte Produktionsweisen (Prozesshaftigkeit und Partizipation), Einsatz von ‘mixed-media’ und der Einbezug der Zuschauer finden sich bereits in Schawinskys Spectodrama. Damit lässt sich der Bogen zum Eingangszitat zurückzuschlagen: die vielfältigen Ideen des Bauhauses und der Bauhausbühne konnten gerade wegen ihrer Offenheit in den amerikanischen Kontext adaptiert und umgewandelt werden und Neuerungen entstehen lassen.

Ein Artikel von Marie Ohl 

Teilnehmende Studentin der Lehrveranstaltung “Black Mountain College als Kreativitätsmodell. Zur Genealogie entgrenzender Kunstpraktiken und performativer Künste” (WS 13/14) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin.

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(1) Dieser Artikel basiert auf der umfang- und materialreichen Monographie von Sigrid Pawelke: Die Einflüsse der Bauhausbühne in den USA. Regensburg 2005. Die Autorin dankt Daniel Schawinsky für die freundliche Genehmigung der Bildrechte und Randy Kaufman vom Bauhausarchiv in Berlin für die entgegenkommende und geduldige Hilfe bei der Beschaffung der Scanvorlagen.
(2) Jewell, Edward Alden. ¨Decade of the Bauhaus¨, New York Times, 11. Dezember 1938, S. 197.
(3) Neben der bereits genannten von Kiesler etwa die Bauhaus-Retrospektive im New Yorker Museum of Modern Art 1938. Diese von Walter Gropius, Herbert Bayer und Alfred Barr organisierte Ausstellung ist so erfolgreich, dass sie noch in Springfield, Milwaukee, Cleveland und Cincinnati gezeigt wird. In den 50ern kommt es zu einer zweiten Rezeptionswelle, ausgelöst durch die Bauhaus-Retrospektive am Busch-Reisinger Museum 1952 in Harvard.
(4) Schlee, Alfred: ¨The stage at the Bauhaus¨, in: Theatre Arts, April 1931, S. 347.
(5) Harris, Mary Emma: ¨Black Mountain College: Europäische Moderne, experimenteller Geist und die amerikanische Avantgarde¨. In: Joachimides, Christos M.; Rosenthal, Norman (Hg.): Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert. Malerei und Plastik 1913-1993. Ausstellungskatalog München 1993, S. 123. Zit.n. Grawe, Gabriele Diana: Von der Hochschule für Gestaltung zur Schule des Stils. Facetten der Bauhaus-Rezeption in den USA. In: Haus, Andreas (Hg.): Bauhaus-Ideen 1919-1994. Bibliografie und Beiträge zur Rezeption des Bauhausgedanken. Berlin 1994, S. 116-142, S. 124.
(6) Albers, Josef. Zit.n. Pawelke, a.a.O., S. 137.
(7) Schawinsky, Xanti: “From the Bauhaus to Black Mountain.” In: The Drama Review, Heft 15, Nr. 3 (1971), S. 30-44, S. 39.