DAS EXPERIMENT

Studierende des Seminars "Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften" im Büro von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann im theaterwissenschaftlichen Institut der Freien Universität Berlin.

Studierende des Seminars “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” im Büro von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann am theaterwissenschaftlichen Institut der Freien Universität Berlin.

Unser aktueller Blogeintrag befasst sich mit Fragen zum Modus des Experiments, der in der Forschung zum Black Mountain College gewissermaßen mit dem Status einer Heiligen Kuh gesetzt wird. In der Auseinandersetzung mit vorhandener Forschungsliteratur fanden wir uns zunächst mit der Problematik konfrontiert, dass uns der Gewinn neuer ästhetischer Erfahrungen durch die Arbeitsweise methodischen Testens weit von der Realität der praktischen Prozesse in Black Mountain erschien. Lässt sich die Wirklichkeit der offenen Situationen am College mit dem Begriff des Experiments überhaupt fassen? Warum wird in inhaltsbezogenen Studien stets mit dem Experimentbegriff operiert, nicht mit Ausdrücken wie ‚Erkundung‘ oder ‚Probe‘? Welche Hypothese würde den Begriff des Experiments legitimieren, die anhand eines Fallbeispiels zu beweisen wäre?

Vollzog sich der Beweis für ein mögliches Theorem in der subjektiven Eigenerfahrung künstlerischer Wirklichkeiten; oder: Ist der in der Geisteswissenschaft und Kunstwissenschaft definierte Experimentbegriff von jenem der Naturwissenschaft nicht grundverschieden?
Es können mehrere Modi des Experiments am Black Moutain College nachvollzogen werden. Ihnen grundlegend scheint jedoch, dass obwohl ein Theorem, die konkrete und zu beweisende Annahme nicht präexistent war, trotzdem experimentelle Erfahrungen gemacht werden konnten.
Die Bedeutung von Erfahrung als eine unmittelbar sinnliche, die nicht an vorgefertigten Momenten orientiert, nicht an Formeln festgemacht ist, trägt eine stark phänomenologisch-subjektive Komponente. Damit sei die Frage gestellt, ob nicht letztlich nicht auch bei der Vorgehensweise der Ausstellungskonzeption, die sich auf diesem Blog mit unserem Schreiben verbindet, von einem neuen Experiment[begriff] gesprochen werden könnte? Oder: Ist dieser Begriff obsolet, weil vielleicht gar keine Relevanz besteht, so vorzugehen? Lässt sich dies verstehen? Lässt es sich erfassen und werten? Wie verbindet sich die Definition von Experiment mit der konkreten Arbeit, die zu ihrer Differenzierung notwendig ist?

Die Experimentierkulturen von Josef Albers, John Cage und Buckminster-Fuller unterschieden sich in ihren Verfahrensweisen nachhaltig. So war für Albers beispielsweise die Wiederverwertung alltäglicher Gegenstände von zentralem Interesse, recycelte Materialien kamen auch in seinen Kursen der Werklehre zur Verwendung. Gerade unter dem Gesichtspunkt, dass Albers sehr formell arbeitete, muss Albers Produktion als interessant hervorgehoben werden: lässt es sich nicht besser über Prozess sprechen, denn von Produktion?
Bei John Cage finden wir eine bestimmte Formulierung in besonderer Weise signifikant: Ein Experiment ist als ‚a purpose to remove purposes‘ von ihm definiert und konzentriert dabei die Elemente von Zufall, Wahrscheinlichkeit und offenem Ausgang. Ist von dieser Formulierung auf eine moralische Verantwortlichkeit von seiten des Künstlers zu schließen; wenn die Relevanz dessen, was getan wird, scheinbar zunächst nur einem reinen Selbstzweck dient?

Es kann vermutet werden, dass das künstlerische Verständnis des Zufalls bei Cage und Albers ein unterschiedlich konnotiertes gewesen sein muss. Denn welche Gefahren birgt der Zufall? Gar das Zerbrechen der Freundschaft zwischen den Beiden wird mit der Spaltung über diesen Begriff in Verbindung gebracht.
In der Reihe der hier genannten nimmt Fuller die Rezeption als Architekt ein, als jemand, der sich nicht auf bestimmte Disziplinen festlegen lässt und sich jenseits einer Spezialisierung mehr für eine Idee der Arbeit eingesetzt hat: die Verbindung von Fortschritt und industriellem Design. Sein Experimentverständnis lässt sich mit den Worten ‚formulate conceptually [….] all of as-yet unknown or unproven‘ umreißen. Das Scheitern fungiert als Kern des Experimentes und wird nicht ausgemerzt, vielmehr gilt es zu verstehen, die dem Scheitern eigenen Strategien im Herstellungsprozess zu nutzen, getreu dem Motto ‘you succeed when you stop failing.’ Das heißt final den Prozess durch das Scheitern zu erfahren. Der Fehler wird somit zum Zentrum methodischen Vorgehens erhoben, in einem Konzept, welches das Verständnis von Design als Verständnis sozialer Planung begreift, auch als Anleitung politischer Prozesse. Es wird ein Maximum an Kollektivität gefordert und der Anspruch einer ‘schönen Oberfläche’ durch ‘form follows function’ komplettiert. So können Umgebungsräme beeinflusst und synergetisch nutzbar gemacht werden.
Die Orientierung an vorhandener Forschungsliteratur bietet im Ansatz die Möglichkeit, über einen auszudifferenzierenden und weiterzuentwickelnden Experimentbegriff nachzudenken. Damit kann die Frage, inwiefern sich ein konventionalisiertes Experimentverständnis innnerhalb des Black Mountain College definieren ließe, in das Offene ragen. Im Namen des Experimentierens sollten, so kann vielleicht festgestellt werden, wenigstens für den Moment die Metriken von Erfolg und Misserfolg mit den Werten des (intellektuellen) Vergnügens und der erweiterten Sinnerfahrung sowie ästhetischer Innovation ersetzt werden. Diese Experimente sind zweifelsohne eine historische Darstellung einer bestimmten Zeit und Hoffnungen für viele Wege, die aber nur zum Teil in der Kunst weiter beschritten worden sind.

Lesenswert aktuell ist zum Thema der Berechenbarkeit des Unberechenbaren auch ein Artikel über den Künstler Jonas Lund und seine Experimente mit den Algorithmen des Kunstmarkts.
Mit Blick in die heutige Theaterpraxis, erscheint uns auch die Gruppe „Prinzip Gonzo“ hierfür interessant, da das Experiment und der Zufall in ihre Arbeit stark einfließt.

 Ein Artikel von Sophie Boysen, Anna-Maria Fiala, Lena Fiedler, Barbara Przynoga, Christopher Ramm, Henrike Simm

Teilnehmende StudentInnen der Lehrveranstaltung “Black Mountain-Tracing Basics. Modelle performativer Künste und Wissenschaften” (Sommersemester 2015) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin