Making-Of: Interview mit StudentInnen und Absolventinnen der Klasse Ulrike Grossarth (HfBK Dresden)

BLACK MOUNTAIN COLLAGE IM HAMBURGER BAHNHOF // I N T E R V I E W

Screenshot während eines Vorbereitungsgespräch via Skype, Bild: Franziska Goralski

Screenshot während eines Vorbereitungsgespräch via Skype, Bild: Franziska Goralski

Ein Interview, skypend – von Studentinnen und Absolventinnen der Klasse Ulrike Grossarth (Hochschule für Bildende Künste Dresden) aus Dessau, Berlin, Dresden und Wien – an einem Sonntag im Mai 2015 durchgeführt. Diese nehmen vom 29. Juni bis 6. Juli an PERFORMING the Black Mountain ARCHIVE von Arnold Dreyblatt in der Ausstellung “Black Mountain. Ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957” im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin teil und berichten im Folgenden über ihre Erfahrungen mit der zeitgenössischen Kunstausbildung, die Vorbereitung in der Gruppe und ihre jeweilige Auseinandersetzung mit Dreyblatts Archiv.

Franziska Goralski           [FG]
Theresa Schnell               [TS]
Anna Schapiro                 [AS]
Johanna Schwab             [JS]
Franziska Angermann    [FA]

Wie findet die Kunstausbildung heute statt? Gibt es Anknüpfungspunkte des BMC an die eigene Kunstausbildung?

JS: Ich habe über das BMC schon zu Studienzeiten gelesen und damals auch unseren Kunstgeschichtsprof gefragt, ob er dazu und über verschiedene andere Ausbildungsformate eine Vorlesung machen könnte. Er war sehr interessiert, aber es kam nie dazu.

FG: In Dresden findet das Kunststudium im institutionellen Rahmen der Akademie statt. Regelstudienzeit 5 Jahre – danach Diplom. Es wird festgehalten am historischen Gattungsverständnis (Trennung von Malerei, Grafik, Bildhauerei, Bühne, Maske, Kostüm).
Übergänge und Mischungen werden skeptisch beäugt, zum Beispiel, sich dafür zu entscheiden, in zwei Klassen gleichzeitig zu sein. Diese Aufrechterhaltung von Begrenzungen empfinde ich als ein abgeschlossenes System. Fakemäßig sollen sie Klarheit stiften, bei meiner Auseinandersetzung stoße ich mich aber an ihnen.

JS: In meiner Studienzeit hatte ich oft das Gefühl, dass mir etwas fehlt – also Inhalte, die sich auch um das Umfeld drehen, in dem das Kunstschaffen stattfindet. Überhaupt gesellschaftliche Fragestellungen! Unser Anteil an Philosophieunterricht bot mir da nicht genug Relevantes. Vielmehr ging es da doch nur um eine Ausstattung; nach dem Motto: Du kannst bildnerisch was, und zu so einem Künstler gehört dann auch ein gewisses Maß an philosophischer Aura. Dabei würde ich das gar nicht als Hauptproblem sehen, es geht mir nur um dieses Klischee. Aktzeichnen war schlimmer: Das habe ich vor dem Studium gern gemacht und hatte auch einen Bezug dazu. Mich hat da so eine Künstlichkeit interessiert und irgendwie auch das Lapidare, einen Körper zu zeichnen, ohne dass man das Modell kennt. Deshalb hatten meine Zeichnungen wahrscheinlich immer irgendwelche abstrakten Beigaben, auch weil ich Jugendstil mochte. Im Studium musste ich dann wieder Aktzeichnen und dann gab’s auch noch einen Anatomiekurs, mit Notenvergabe. Das habe ich so laissez-faire behandelt und mich dabei schlecht gefühlt. Heute würde ich sagen: Ich habe mich einfach danach gesehnt, an Themen zu kommen, die mich mehr bewegen!

TS: Grundlegende Frage bei der Gründung des Black Mountain College war doch: Wie viele, und vor allem, welche Formen braucht es, um Persönlichkeiten auszubilden?

AS: Wenn nach der heutigen Kunstausbildung gefragt wird, so ist diese im Hinblick auf die Ausbildung zu einer Persönlichkeit eher eine Wüste. Man ist gebeten seine Persönlichkeit beim Pförtner abzugeben, um sich an ein Künstlerbild anzupassen, anstelle Künstlerbilder durch eigene, neue Haltungen zu verändern. Zumindest habe ich dies so erlebt, natürlich mit Ausnahmen. So musste ich lange suchen, bis ich nach Dresden in die Klasse von Ulrike Grossarth kam und dort auf jemanden traf, der wirklich nach mir als Person fragte.

FA: Ich will noch etwas ausholen: Sachsen, Dresden ist politisch arg, wirklich arg. Die Renitenz der CDU Sachsen als ein Mehrparteienland zu sehen, ähnelt der Unlust einiger Angestellten universitäre Strukturen von Studenten verändern zu lassen, weil es bisher doch auch so gut funktionierte. Und allem was unangenehm ist, weicht man aus. Wenn es um handwerkliche Fragen geht, stößt man auf große Sachkompetenz; sobald man das Feld verlässt, zeigen sich Ängste und Abwehr. Da bin ich ganz bei Dewey, der schrieb:
„Oftmals jedoch bleibt die gemachte Erfahrung unvollständig. Man erfährt die Dinge, fügt sie aber nicht zu einer Erfahrung zusammen.“ [Dewey, John: Kunst als Erfahrung]
Das ist harte Arbeit. An einer Kunstuni zu lernen, nicht von seinen Ängsten dominiert zu werden und mutig Dinge zu verbinden, scheint mir so passend, wie das zeichnerische Einfühlen in Proportionen. Irgendwann habe ich angefangen, die Hochschule als „mein Dresden im Kleinen“ zu bezeichnen: Da wird zum Nachbarn geschielt, geneidet, eisern auf den Klassenkameras sitzen geblieben, anstatt Ressourcen auszutauschen, wenn gerade irgendwo Mangel besteht. Da wird zum Teil nicht mehr gegrüßt, weil man die Klasse gewechselt hat. Ich finde das nicht schlimm. Mir ist es wichtig, damit aufzuräumen, dass Künstler mehr wahrnehmen als andere, das Kunst über anderen Fragen des Lebens steht. Das kommt mir künstlich vor! Albers landete nicht mit einem UFO in den Bergen; er war Flüchtling. Cage und viele, viele andere hatten permanent keine Kohle, Cunningham konnte traditionell tanzen, wollte aber nicht. Da habe ich meine Anknüpfungspunkte!

Wie bereitet sich die Gruppe vor? Wie macht ihr das über die Entfernung (Dresden, Berlin, Wien, Dessau)?

AS: Bei den Gesprächen gehen wir so vor, dass jede sich einliest oder youtube schaut;
einsetzend an der Stelle, die sie interessiert, bei der Person, bei der sie hängen bleibt. Die Sonntage wurden dann zum Moment, bei dem auch durch den Blick der anderen geschaut werden konnte: „Was hat das mit deiner Arbeit zu tun?“ oder „Was habe ich noch zu dem Thema gefunden?“

TS: Im Grunde ist es ein lockeres Gewebe, dessen Ränder sich in Dresden, Berlin, Wien und Dessau befinden. Dass die individuellen Ansätze und Arbeitsweisen zum BMC immer wieder Wichtigkeit und Futter erhalten, hängt grundlegend mit diesen Gesprächen zusammen. Das Wissen darum, dass sie als Ritual da sind und sein werden, ist für mein
Arbeiten förderlich.

Wie ist es zu dieser Gruppenzusammenstellung gekommen?

TS: Eine Besonderheit ist sicherlich, dass wir uns aus eigenem Antrieb zu einer Gruppe zusammen gefunden haben und selbstständig, im steten Gespräch auf die Woche vorbereiten.

AS: Die Gruppe setzt sich aus Personen zusammen, die in ihren Arbeiten das, was man am BMC den interdisziplinären Aspekt nennen würde, durch ihre Interessen in ihren Arbeiten zu verbinden suchen. So arbeitet beispielsweise Johanna Schwab bildnerisch, jedoch auch auf Tragbarem. Darin sehe ich einen Zusammenhang mit der Arbeit von Annie Albers. Franziska Angermann arbeitet bildnerisch und schreibt – Franzi, kannst du mir helfen, das noch genauer zu beschreiben?

FA: Ja klar. Ich bin komplett bei John Deweys “Kunst als Erfahrung” hängen geblieben. Es wird dazu auf jeden Fall eine kleine Aktion im Museum als Gr. PIQUE mit Nina Müller geben: Für ein Theaterstück zu kurz, für eine Performance zu wörtlich, institutionell ungebunden, Mittel aus allen möglichen Disziplinen saugend. Ich kann’s nur ein Experiment nennen. Weißt du, mir kommt das schon schwer über die Lippen: bildnerisch und schreibend… Diese Worte sind für mich einfach Notlügen, Krücken der Vermittlung, um überhaupt ernst genommen zu werden. Aber mit den Sinnesorganen und Neugierde – wieder Dewey hier gedenkend – haben sie nix zu tun. Die Kunst scheißt auf Studiengänge und Medium. Ich arbeite einfach, mal mit euch, mal allein, mal als Gr. PIQUE.

Wie ist es in die Arbeit von jemandem einzusteigen, also in das Black-Mountain-Archiv von Arnold Dreyblatt? Wie verbindet ihr dies mit den Arbeitsweisen, an denen ihr arbeitet?

JS: In erster Linie stellt Arnold über das Archiv ja ganz viel zur Verfügung; also empfinde ich das schon mal nicht als hermetisch. Das hatte mich inspiriert, das Versatorium in der Woche, in der wir im Museum sein werden, einzuladen. Es sind Leute, die einen Verein gegründet haben, weil ihnen das gemeinsame Übersetzen Spaß macht. Gegründet wurde es aus dem Studienfach Komparatistik; heute machen Leute mit unterschiedlichsten Hintergründen mit. Jedenfalls wollen wir im Archiv eine gemeinsame Übersetzungssession starten. Vielleicht übersetzen wir Texte von Charles Olson, vielleicht Bilder von Josef Albers oder auch die Ausstellung selbst. Ich freu mich drauf.

AS: Aus meiner Beobachtung ist es erst mal nicht ganz einfach in die Arbeit von Arnold Dreyblatt einzusteigen. Ich vermute, man muss Arnold Dreyblatt und seine Arbeiten kennenlernen, um zu verstehen, was das Archiv für ihn bedeutet. Dass er zum Beispiel alle Texte kennt und zu jedem etwas erzählen kann, ist beeindruckend und öffnet dadurch eine Tür in das Archiv. Gleichzeitig lädt er ein damit umzugehen; so können dann die übersetzten Texte auch z.B. wieder in das Archiv zurückfließen. Ich glaube, die ganze Arbeit ist Einladung auch selbst diese gesetzten Rahmen mitzugestalten. Dadurch, dass ich an dieser Stelle an beiden Seiten der Erstellung des Archivs – als
Koordinatorin für „Performing the BM Archive“, als auch der Vorbereitung in der Gruppe – mitgearbeitet habe, konnte sich eine Brücke bilden und über diese Fragen hin und her tragen.

TS: Vorlesen kann in so unterschiedlicher Weise passieren. Von kurzer Meditation zu einzelnen Wörtern, Übung, Übersetzungsleistung und angenehmer Routine ist für mich da vieles denkbar.

FA: Fühl’ ich mich an einem Tag krötig, werde ich das in meiner Stimme nicht verstecken und den souveränen Schauspieltenor rauskehren. Da mach ich dann vielleicht was Krötig-Lustvolles draus. Vielleicht ziehe ich meine Plateauschuhe aus und lese denen vor?

JS: Was die Partitur angeht – da bin ich ganz locker und glaube, als über meine Erziehung mit katholischen Gottesdiensten Aufgewachsene, an eine Leichtigkeit, die das Lesen von Texten zu bestimmten Uhrzeiten haben kann.

FA: Ah, interessant! Aber was meinst du genau mit dem Zusammenhang aus Lesezeit und katholisch?

JS: Ich meine damit, dass ich so Abläufe kenne: Texte, die zu bestimmten Zeiten gesprochen werden. Hier das Evangelium, da die Fürbitte, schon der Reihenfolge nach, immer wieder und das Tischgebet bei den Großeltern und da gewöhnt man sich dran.

FG: In die Arbeit von jemand anderem einzusteigen (oder die Beschäftigung mit Ansätzen anderer) ist für mich respektvolles Hören in verschiedenste Richtungen. Zurücknehmen und wieder Einschwingen. Diesen Vorgang würde ich als einen lebendigen, organischen beschreiben. Schon die Art und Weise des Einsteigens und Annäherns sehe ich als Strategie, die jeder Person eigen ist.

FA: …sich auf den Rhythmus eines Gegenübers einzulassen. Damit zu flirten, offen zu sein. Der Gegenüber kann eben auch die Arbeit eines anderen sein, mit eigenen Regeln und Energien. Im Prinzip freue ich mich aufs Flirten.

Wie wollt ihr das Archiv nutzen?

FG: Dazu habe ich Fragen, die teilweise noch heimatlos schwingen. Ich möchte mich ihrer annehmen. Vielleicht entsteht aber auch ein Vorhang von Schwingendem.

JS: Ich freue mich auf diese Quellenlage, weil mir Sekundärtexte zum Thema immer wenig anschlussfähig vorkamen. Ich werde Fragen mitbringen, die sich aus meiner Masterarbeit über Sister Corita Kent ergeben haben. Die Arbeit trägt den Titel “What is fixed and what is movable”.

TS: Interesse habe ich auch an Texten aus dem Ordner “Administration BMC” im virtuellen Archiv, das uns zur Verfügung gestellt wurde. Sie haben planerischen, visionären und auch normativen Charakter. Während wir heute zurückblicken, beschreiben und überlegen, stoßen diese Texte das utopische Potenzial des BMC von der anderen Richtung her.