Die Bedeutung des Experiments

Moving the pianos to the Lake Eden campus from the Blue Ridge campus. Left to right: Jane Robinson, Paul Wiggin, George Cadmus, and unidentified person. Courtesy of Western Regional Archives.

Moving the pianos to the Lake Eden campus from the Blue Ridge campus. Left to right: Jane Robinson, Paul Wiggin, George Cadmus, and unidentified person. Courtesy of Western Regional Archives.

Das Experiment ist als ein Charakteristikum für das Black Mountain College in seiner Rezeption immer wieder herangezogen worden, beispielsweise in der Ausstellung “Black Mountain College: Experiment in Art”, die 2002 in Madrid stattfand. Das Experiment als ein Verfahren, das der Wissenschaft entstammt und sie im 20. Jahrhundert wie kein anderes prägt, bezieht sich in diesem Fall auf vielfältige Aspekte des Colleges. Besonders hervorgehoben wurde bis jetzt das Experiment als eine künstlerische Verfahrensweise. Am Black Mountain College wurden nach einem pädagogischen Verständnis Bedingungen geschaffen, die eine freie künstlerische Arbeitsweise ermöglichten, die die Kunst bis heute nachhaltig verändert hat. Man könnte eine Linie von den Experimenten im Black Mountain College bis zu der heute diskutierten artistic research ziehen, die die genuinen Wissensformen, die die Kunst gegenüber der Wissenschaft bieten kann, betont.

Die Idee des Experiments betrifft im Falle des Black Mountain College aber nicht nur die Kunst, sondern das gesamte Sozialleben der Lehrer und Schüler, das durch die knappen finanziellen Ressourcen sowie die immer relativ klein bleibende Gruppe der Studenten und schließlich die isolierte Lage des Colleges eng verknüpft war. In der dritten Ausgabe des „Black Mountain Bulletins“ vom Februar 1943 (1) heißt es in einer einleitenden Selbstbeschreibung:

Through participation in the life of the community, through study and discussion of the past and the present, through the discipline of the studio, the laboratory, and a comprehensive campus work-experience program, it is preparing the citizens with the understanding and the maturity to play a constructive part in the world at war and the post-war world.

Die aktive Teilnahme statt passiven Aufnehmens bestehender Lehrkonzepte war Ziel der Erziehung am Black Mountain College, wobei in Zusammenarbeit mit der Gemeinschaft theoretische wie buchstäblich lebenspraktische Fähigkeiten erworben werden sollten. Das „work-experience program“ war aus der Notwendigkeit geboren; jeder Student des Colleges war zur Mitarbeit, beispielsweise auf den eigenen Feldern des Colleges, in der Küche oder der Administration im Umfang von 10 bis 15 Stunden in der Woche verpflichtet.

Eben diese Haltung zur Welt und zum Lernen, als eine selbstbestimmte, aber damit auch eigenverantwortliche galt genauso für den Unterricht in Kunst wie in allen anderen Fächern: “Art at Black Mountain College is based upon art as an active, appreciative and creative force permeating all activities of life.“ Die Kunst sollte hier eine enge Verbindung mit dem Leben eingehen. Durch Erkenntnisse, die im praktischen Vollzug erworben und überhaupt erst gewonnen wurden, wie z. B. in den Architekturkursen, sollten so auch Lösungen zu praktischen Problemen gefunden werden. Dabei wurde das Wesen des Experiments, das einen ungewissen Ausgang haben kann, mit einbezogen und kalkuliert.

Die Forderung der Avantgarden in Europa, dass die Kunst sich mit dem Leben verbinden sollte, wird im Black Mountain College damit auf neue Weise praktiziert. Auch in den Lehrmethoden zeichnet sich ab, dass im Prinzip jeder zu einem kreativen Umgang mit dem Material angehalten werden soll. So etabliert Josef Albers in Anknüpfung an seine Lehren am Bauhaus einen „Werklehre“-Kurs, der die Grundlage für alle spätere Ausbildung legt. Hier liegt der Fokus eben auf dem Material, wobei die typischen Materialien der bildenden Kunst um Stoffe und Gegenstände des Alltags erweitert wurden. Untersuchungsgegenstand waren die Beschaffenheit, Struktur und taktile Qualität eines Materials. Hier ist ein entscheidender Grundstein für eine Erweiterung der Kunst um Gegenstände, die man vorher nicht dem Kontext Kunst zuordnete, zu sehen, was später in Kunstformen wie der Environmental Art mündete. Der Begriff des Experiments lässt sich somit auf vielfältige Aspekte des Black Mountain College beziehen, was sowohl die künstlerischen Schaffensprozesse der Lehrer und Schüler als auch deren Zusammenleben und die pädagogischen Ansätze der Lehre und des Lernens betrifft.

Ein Artikel von Elisabeth Heymer

Teilnehmende Studentin der Lehrveranstaltung “Black Mountain College als Kreativitätsmodell. Zur Genealogie entgrenzender Kunstpraktiken und performativer Künste” (WS 13/14) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin.

—-

1 Die Bulletins erschienen vierteljährlich und spiegeln einerseits das Selbstverständnis des Colleges. Sie weisen teils das Erscheinungsbild einer Werbebroschüre auf.