Die Emanzipation des Tanzes: Merce Cunningham

You have to love dancing to stick to it. It gives you nothing back, no manuscripts to store away, no paintings to show on walls and maybe hang in museums, no poems to be printed and sold, nothing but that single fleeting moment when you feel alive. It is not for unsteady souls.

Merce Cunningham 

Douglas Dunn, Susana Hayman-Chaffey, Valda Setterfield, and Merce Cunningham in Event, Photo © Unknown 1972

Douglas Dunn, Susana Hayman-Chaffey, Valda Setterfield, and Merce Cunningham in Event, Photo © Unknown 1972

Der Choreograph und Tänzer Merce Cunningham gilt als einer der wichtigsten Vertreter des amerikanischen Modern Dance im 20. Jahrhundert. Er gab dem Tanz eine selbstständige Rolle, die nicht länger von der Musik determiniert sein sollte. Sein Ziel war es nicht eine Geschichte in seinen Performances zu erzählen, viel eher war der Tanz selbst das bestimmende Thema der Darbietung. Nicht die Bedeutungsgenese stand bei seiner Arbeit demnach im Vordergrund, sondern die Exploration von Bewegungsmöglichkeiten des menschlichen Körpers. Sein wohl wichtigstes Mittel hierfür waren die sogenannten chance operations, bei denen Zufall und Variation wesentliche Bestandteile seiner Arbeit waren. Beeinflusst wurde er dabei sicherlich auch von der asiatischen Lehre des I Chin, eine klassische Sammlung chinesischer Strichzeichnungen und ihnen zugeordneter Sprüche.

Abrupte Wechsel und kontrastierende Bewegungen wurden bedeutende Elemente der Choreographien Cunninghams, die oftmals mit dadaistischen, surrealistischen oder existenzialistischen Motiven assoziiert worden sind. Schon während seiner Zeit am Black Mountain College 1953, gründete er sein eigenes Ensemble, die “Merce Cunningham Dance Company”. Wichtigste Inspirationsquelle und entscheidender Kollaborateur war dabei fraglos sein Lebenspartner John Cage, der für viele Partituren der Events und Choreographien verantwortlich zeichnete. In dieser fruchtbaren Arbeit entwickelte Cunningham eine Fülle neuartiger Bewegungsabläufe, bei denen er virtuos-artifizielle Strukturen genauso einfließen ließ wie Alltagsgesten. Er dezentralisierte das Tanzgeschehen des Weiteren, und löste damit die Renaissance-Idee ab, dass im Tanz alles von einem Radialpunkt auszugehen habe. Viel eher sind in seinen Choreographien alle Tänzer potenziell gleichwertig und stellen parallele, enthierarchisierte Abläufe dar.

In seiner weiteren künstlerischen Entwicklung ließ Cunningham neue elektronische Techniken einfließen und er experimentierte bereits seit den 70er Jahren vermehrt mit Videoaufnahmen. Mit Anbruch des 21. Jahrhunderts verwendete er sogar einen speziellen Tanzcomputer, um Bewegungen bis aufs Äußerste treiben zu können und einen originären Zugang zum Tanz und Ausdruck zu erhalten. Wiederholend betonte Cunningham die Flüchtigkeit von Körpern in Bewegung, das kurze Aufblitzen von Freiheit im künstlerischen Ausdruck und den Moment der Ekstase im Tanz:

If a dancer dances – which is not the same as having theories about dancing or wishing to dance or trying to dance or remembering in his body someone else’s dance – but if the dancer dances, everything is there. . . Our ecstasy in dance comes from the possible gift of freedom, the exhilarating moment that this exposing of the bare energy can give us. What is meant is not license, but freedom…

Diese Einstellung wurde noch einmal kurz vor seinem Tod deutlich, als Merce Cunningham verfügen ließ, dass seine “Dance Company” spätestens zwei Jahre nach seinem Ableben das Tanzen einstellen solle. Mit der Flüchtigkeit des Lebens, des endgültigen Endes jeder Bewegung, wird umso stärker auch die Flüchtigkeit des Mediums Tanz selbst deutlich.

Ein Artikel von Lukas Scholte van Mast

Teilnehmender Student der Lehrveranstaltung “Black Mountain College als Kreativitätsmodell. Zur Genealogie entgrenzender Kunstpraktiken und performativer Künste” (WS 13/14) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann an der Freien Universität Berlin.