Zwischen Empirie und künstlerischer Erforschung – Unterricht am Black Mountain College

Das Black Mountain College bot in den 40ern und zu Beginn der 50er Jahre einen Ort, an dem Persönlichkeiten ganzheitlich ausgebildet werden sollten. Dies spiegelte sich nicht nur in der Unterrichtspraxis wieder, sondern ist selbst in den Alltagsstrukturen offenbar. Als das College 1933 u. A. von John A. Rice gegründet wurde, der stark von den Theorien des US-amerikanischen Philosophen John Dewey beeinflusst war, stand besonders der Reformgedanke im Vordergrund. Deweys Überlegungen zur Pädagogik sahen eine neue Form des Lebens und Lernens vor und wollten diese miteinander verbinden. Jeder Bildungsstoff, der menschliche Intelligenz und menschliches Mitgefühl frei macht und auslöst, ist laut Dewey „humanistisch“ (1). Das oberste Bildungsziel war es demnach ein Umfeld zu schaffen, in dem sich der Mensch durch seinen eigenen und freien Willen zu einem „sittlichen, vernünftigen und freien Wesen gestalten kann“ (2).

Am Black Mountain College hatten es sich die Dozierenden zur Aufgabe gemacht eben jenes freiheitliche Umfeld für die Studierenden zu schaffen. In einer Zeit größter Krisen entstanden, entwickelte sich das Black Mountain College in North Carolinas idyllischer Provinz zu einer der führenden Institutionen in den USA, die viele namenhafte Avantgarde-Künstler hervorbrachte. Lehren und Lernen wurde am Black Mountain College als performativer Prozess begriffen. Das Ziel, Leben und Kunst miteinander zu verbinden, entsprach der Produktionsästhetik einer realen Wirkungsmöglichkeit. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass traditionelle, akademische Strukturen zu Gunsten einer problemorientierten und one-to-one basierten Lehre aufgelöst wurden, sondern bedeutete auch, dass der Prozess des Zufalls in Projekten und damit in Verbindung stehende Experimente eine Basis der Lehre und der Forschung darstellte.

Die Akzeptanz von durch Zufall bedingten Ergebnissen zeigt den fundamentalen Unterschied zu der traditionellen Definition des Experiments in den Naturwissenschaften. Das konventionelle Experiment sucht nach vorherigem Aufstellen einer Arbeitshypothese, also einem erklärten Ziel, nach Lösungen. Der Experimentbegriff wurde am Black Mountain College umgedeutet: ein Experiment stellt einen Prozess ohne ein vorab definiertes Ziel dar. Die Vorstellung einer pragmatischen Wirkungskraft der Kunst führte dazu, dass Ästhetik und Lebenspraxis miteinander verwoben werden sollten. Und obwohl Innovation und Tradition im Experiment eng miteinander verbunden sind, waren die Auffassungen von Experiment bei den Protagonisten der Lehrenden doch unterschiedlich.

Für Josef Albers beispielsweise bedeutete das Experiment sich mit allen Mitteln der Unordnung und des Unfalls zu widersetzen (3). Albers war stark wahrnehmungsphänomenologisch geprägt. Neben der Veränderung kognitiver Wahrnehmung, hatte es sich Albers zur Aufgabe gemacht seinen Schülern die Arbeit mit Varianten zu lehren. Für Albers war es unbedeutend eine endgültige Form zu erschaffen, für ihn war es viel wichtiger eine Differenz in einem gleichbleibenden System der Varianz zu entwickeln. Im Umkehrschluss sah er auch einer subjektiv expressiven und damit auf den einzelnen Künstler bezogenen Perspektive entgegen, da im Experiment der Künstler von diesem losgelöst agiert, das bedeutet, dass das Experiment durch seinen Zufallscharakter nur bedingt vom einzelnen Künstler beeinflusst werden kann. John Cage hatte einen deutlich stärkeren handlungsbezogenen Begriff von Experiment. Ein wichtiger Aspekt seiner Lehre und ebenfalls seiner Arbeit waren die sogenannten chance operations: Das Zulassen eines zufälligen Geschehens, das sich aus heterogenen Dingen zusammensetzt, sodass die entstehenden Bezugsmöglichkeiten produktionsästhetisch miteingebunden werden. Dieses Verfahren steht in der Tradition des Dadaismus und nimmt natürlich auch ‘Fehler’, die während des Prozesses entstehen in Kauf, wobei im Sinne von Cage kaum von ‘Fehlern’ die Rede sein kann, ihm geht es vielmehr um das Werk als Bricolage.

Das ganzheitliche Konzept, das Lehre, Lernen und Leben miteinander verbinden sollte, sorgte mit der performativen Offenheit gegenüber der Bezüge und Ergebnisse für ein Umfeld, in dem sich junge Persönlichkeiten ganzheitlich und frei entwickeln konnten. Der innovative Umgang in den Lehrmethoden und die Erschaffung dieses prozesshaften und problemorientierten Experimentierens stellten bis dato ein gänzlich neues Kreativitätsmodell dar, das einen wichtigen Impuls für nachfolgende Künstlergenerationen bedeutete.

Ein Artikel von Stephanie Götsch

Teilnehmende Studentin der Lehrveranstaltung “Black Mountain College als Kreativitätsmodell. Zur Genealogie entgrenzender Kunstpraktiken und performativer Künste” (WS 13/14) geleitet von Prof. Dr. Annette Jael Lehmann am Institut für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

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1 Zit. John Dewey in ders.: Demokratie und Erziehung. Weinheim, 1993. Zitiert nach Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung: Kleines John-Dewey-Brevier. Internetquelle: http://www.politische-bildung-brandenburg.de/node/6426. Stand 18.10.13 10:05.
2 Zit. John Dewey. Vgl. Ebd.
3 Vgl. Josef Albers zitiert nacht Eva Diaz: Experiment, Expression, and the Paradox of Black Mountain College.